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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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udadewethu, komm …«, Popi winkte ihr, glitt von ihr weg, durch die huschenden Schatten des Mondes, selbst ein Schatten mit sanfter Stimme und glühenden Augen. »Komm, meine Schwester«, lockte er. Seine Freunde waren verstummt. Es herrschte unheilvolles Schweigen, aller Augen waren auf sie gerichtet.
    Und sie folgte ihm. Sie konnte nicht anders. Nils hielt sie am Hemdsärmel fest. »Nicht, Jill, das sieht mir zu gefährlich aus. Lass uns zurückgehen und die Polizei rufen, komm.«
    Sie schüttelte ihn wortlos ab. Der Kreis der Zulus öffnete sich, ließ sie durch, bis sie vor den Pferden stand. Len Pienaar schwitzte stark. Sie konnte ihn riechen, diesen abstoßenden, säuerlich scharfen Geruch der Angst, und überlegte, ob er diesen Geruch von seinen Opfern so gewohnt war, dass er ihn an sich selbst nicht mehr bemerkte? Das Parfum des Todes? Wieder zuckten Fotoblitze, aber sie nahm sie nicht wahr.
    Len Pienaar verrenkte seinen Hals, schielte nach oben, bis er sie erkannte. »Holen Sie die Polizei, Jill, die werden uns abstechen … Verdammt noch mal«, brüllte er, als sie sich nicht rührte, »stehen Sie nicht rum wie ein Ölgötze, Sie können doch nicht einfach dabei zusehen – haben Sie kein Handy da?« Er musste nach Luft schnappen, denn normales Einatmen ließen seine Bauchlage und die strammen Seile, die ihn zusammenschnürten, eindeutig nicht zu. Er konnte nur hecheln.
    Ein nervöses Geräusch, fand Jill. Es reduzierte ihn auf Hündchengröße. Sie hörte ihn, aber registrierte seine Worte nicht. Tommy und Mama? Die Rufe der Ochsenfrösche dröhnten wie Paukenschläge in ihren Ohren, das hohe Schrillen der Zikaden tat weh. »Tommy und Mama? Was meinst du damit, Popi?«, fragte sie mit dünner Stimme, die sie nicht als ihre erkannte. Ihre Worte zitterten in der Luft, flatterten herum wie ängstliche Vögel.
    »Er tanzt auf den Knochen unserer Freunde …« Popis Stimme war sanft wie der Wind in den Bäumen.
    »Yebo«, seufzten seine Freunde, »er tanzt auf den Knochen unserer Freunde und der unserer Kinder. Aber nun werden wir auf seinen Knochen tanzen … .« Einige hielten Pangas in den Fäusten, die breiten Hackmesser der Zulus.
    »Was zum Teufel meint er«, fragte Nils, der sich zu ihr durchgeboxt hatte, »wer ist Tommy?«
    Seine Worte holten sie von weit her zurück, sie tauchte auf wie aus einem kalten, dunklen See. Sie hatte neben Tommy im Leichenschauhaus gestanden und war zu Mama in ihr nasses Grab geschwommen. »Tommy? Das war mein Bruder. Jemand hat ihn mit einer Paketbombe in die Luft gejagt. Er hatte ein großes Loch in der Brust, und mittendrin klebte der Paketaufkleber.« Das Reden bereitete ihr ungeheure Mühe.
    »Guter Gott«, platzte er heraus, »und deine Mutter?«
    Sie sah ihn an, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Mama? Die war in ein Flugzeug gestiegen, obwohl sie vor Flugangst verging, um Dad zu verlassen, weil er sie mit einer anderen Frau betrogen hatte. Aber das konnte sie diesem Fremden doch nicht sagen. Es ging ihn doch nichts an. »Sie ist mit dem Flugzeug abgestürzt. Keiner weiß, wie es dazu kam. Es ist einfach vom Himmel gefallen.« Ihre Haut fühlte sich klamm an, gefühllos wie vom Zahnarzt betäubt. Sie knetete ihre Finger, massierte ihre Hände, drückte, kniff, kratzte sich sogar, nur um etwas zu fühlen, um die Gedanken zu verdrängen, die wie giftige Wespen in ihrem Kopf summten.
    »Dein Bruder war ein Träumer, seine Pläne waren selbstmörderisch …« Martin hatte das gesagt, vor so vielen Jahren, dass sie es fast vergessen hatte. Nein, nicht vergessen, aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte sie es, erinnerte sie sich. Denn als sie nachhakte, Martin zu einer Antwort drängte, woher er das über ihren Bruder wusste, hatte sie keine Antwort von ihm bekommen. Auch als sie ihm auf den Kopf zusagte, dass Leon ihm am Grab und später auf ihrer Hochzeit etwas über Tommy gesagt hatte, etwas, das mit seinem Tod zu tun haben musste, hatte er geschwiegen, und tief in ihr hatte sich die böse Ahnung festgesetzt, dass er etwas über den Tod ihres Bruders gewusst hatte.
    Würde sie es jetzt erfahren, würde sie mit der Wahrheit leben können? Sie musste allen Mut zusammennehmen, ehe sie die Frage stellte, vor deren Beantwortung sie solche Angst hatte. »Was meinst du damit, Popi? Was heißt das, ein Pfund Fleisch für Tommy und eins für Mama? Was weißt du?«
    Popi rannte mit langen, nervösen Schritten vor den Pferden mit den Gefangenen hin und her, schien wie mit Strom

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