Ein Land, das Himmel heißt
Schublade und schob diese zu. Dann rief sie ihren Friseur an und machte einen Termin. Das Telefon noch in der Hand haltend, überlegte sie, ob sie ihren Vater anrufen sollte, ihm sagen, dass Martin es am Ende doch geschafft hatte. Sein Ring würde Inqaba helfen zu überleben. Was würde er antworten? Was wollte sie, dass er antwortete?
Zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass es ihr im Grunde genommen gleich war, was er dachte. Sie brauchte ihn nicht mehr. Ich bin erwachsen geworden, dachte sie und lächelte dabei. Dann stand sie auf, sah auf die Uhr. Zwei schon durch, Gelegenheit, sich um die Gäste zu kümmern, die um diese Zeit meist von dem ersten Rundgang zurückkehrten. Die Mittagshitze im Busch, wenn die Sonne im Zenit stand und alle Feuchtigkeit aufsog, die Zunge spröde im Mund klebte und kein trockener Faden am Leib blieb, war selbst für sie schwer erträglich. Dann zogen sich auch die Tiere zurück in die Tiefe des Buschs, in die feuchten Schatten der Flussläufe, verschliefen diesen Teil des Tages. Außerdem hatte es längere Zeit nicht richtig geregnet, hatte nur kurze, wenn auch heftige Duschen hier und da gegeben, was die Hitze doppelt unerträglich machte.
Schnelle Schritte erklangen auf dem Gang. Jemand rannte. Dann hämmerte es gegen ihre Tür, und bevor sie sie öffnen konnte, hatte Bongi sie schon aufgestoßen. »Ma’m«, japste sie, »Ma’m, der Boss ist da.« Schwer atmend stand sie vor ihr.
Sie war verwirrt. »Was meinst du mit ›der Boss ist da‹? Boss von wem?«
In diesem Moment erschien eine hochgewachsene Gestalt hinter Bongi, und auf einmal konnte sie kein Glied mehr rühren. Sie konnte nur noch starren.
»Hallo, Kätzchen«, sagte ihr Vater lächelnd und stellte seinen Koffer ab. Die Worte zitterten zwischen ihnen, kein anderes Geräusch war zu hören.
»Dad«, wisperte sie heiser und verstummte, unfähig zu begreifen, wieso er jetzt plötzlich vor ihr stand. »Wie kommst du so schnell hierher?«, fragte sie schließlich mit dünner Stimme.
»Glück und Beziehungen«, antwortete er und ließ seinen Blick über ihre Gestalt wandern. »Du bist dünner geworden … und anders.« Seine Arme, die erst halb ausgestreckt waren, sanken zurück an seine Seiten.
Sie musste sich räuspern, ehe sie antworten konnte. »Es sind zwei Jahre gewesen, Dad, harte Jahre – ich war allein.« Aus den Augenwinkeln sah sie, dass sich Bongi auf Zehenspitzen verdrückte.
Mit ein paar Schritten war er am Fenster, schaute hinaus. »Hat sich viel verändert hier«, er drehte sich zu ihr, »sieht gut aus.« Dann starrte er auf seine Schuhspitzen. Lange sagte keiner von ihnen etwas. »Tut mir Leid mit Martin.« Er sah sie immer noch nicht an. Dann hob er den Kopf, seine hellen Augen waren rot gerändert, vielleicht von Tränen. »Es tut mir Leid, Jill«, sagte er endlich in einem nüchternen Ton.
Er meinte nicht nur Martin, das hatte sie genau verstanden. Sie machte zwei Schritte auf ihn zu, er streckte die Arme aus und zog sie an sich. »Dein Fell ist gesträubt wie das einer wütenden kleinen Katze«, murmelte er, während er ihr leicht über die Haare strich.
Lange Zeit standen sie am Fenster, und allmählich verlor sie ihre Steifheit. Sie beschloss, noch nicht über Mama zu sprechen, nicht über das, was Popi und Thandi behaupteten. Nicht jetzt. Für wenige kurze Stunden wollte sie so tun, als wäre alles noch in Ordnung, sonst würde jedes Wort, das sie mit ihm wechselte, einen Bezug zu Mama und Thuleleni haben und zu dem, was er getan, zu dem, was die Katastrophe ausgelöst hatte. Es war ihr völlig klar, dass sie unsinnig handelte. Doch das brauchte sie. Sie brauchte es, um die Kraft zu haben, den Schmerz zu ertragen, den er ihr zufügen würde, wenn sie ihm die Frage stellte: Warum ist Mama in das Flugzeug gestiegen, warum?
Aber jetzt war jetzt. »Komm, ich zeig dir, was sich alles verändert hat«, rief sie, konnte den Stolz in ihrer Stimme nicht unterdrücken. Sie führte ihn überall herum, zeigte ihm alles, die Bungalows, den kleinen Laden, das umgebaute Haupthaus, badete in seinem Lob, war glücklich. So glücklich. Nur die Krusens saßen auf der Terrasse im Schatten eines großen Sonnenschirms, tranken Sekt mit Orangensaft und betrachteten ihre Filmausbeute auf dem Monitor ihres Camcorders. Ihr Vater zeigte sich von seiner charmantesten Seite, flirtete mit Iris Krusen, bis diese leuchtende Augen bekam.
Es war Jill, die den Feuerschein zuerst bemerkte. »Mein Gott, Dad, was ist das?«
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