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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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stehen, spürte Angst vor dem, was sie zu hören bekommen würde. Sie suchte nach Worten, fand keine. »Warum, Dad?«, war alles, was sie zum wiederholten Mal herausbrachte.
    Irma blickte ihn kühl an. »Was sie meint, Phillip, ist, warum ist Carlotta in das Flugzeug gestiegen und warum behaupten die Kunene-Zwillinge, dass du ihr Vater bist. Also rede jetzt endlich.«
    Jill zitterten plötzlich die Knie, und sie sank in ihren Schreibtischstuhl. Sie hatte dieses absurde Verlangen, wegzulaufen, sich die Ohren zuzuhalten, sich zu verkriechen. Nicht zu hören.
    Nach langem Zögern nickte er. »Gut, ihr habt ein Recht darauf.«
    Konzentriert beobachtete sie einen dunkelbraun glänzenden Shongololo, einen Tausendfüßler, der über das Fensterbrett durchs offene Fenster marschierte. Das Rascheln seiner unzähligen Füßchen rauschte in ihren Ohren lauter als der kräftige Wind in den Baumkronen vorm Haus.
    »Es war 1969 in einer heißen Januarnacht. Wir waren zu viert, Leon von Bernitt und zwei andere, die ihr nicht kennt. Leon vertrat zum ersten Mal seinen Vater, der krank war …« Er sah keine der beiden Frauen an, starrte ins Nichts.
    Also Leon. Immer wieder Leon. Jill lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, schloss die Augen, wollte allein mit sich sein, wenn sie das erfuhr, was ihr Leben zerstört hatte.
    Ihr Vater fuhr fort. »Wir kamen von einem Treffen der Farmervereinigung in einer Kneipe. Wir hatten alle reichlich getankt …«
    »Heißt übersetzt, dass ihr völlig betrunken wart?«, warf Irma ein.
    »Ja, völlig besoffen.« Er machte eine Pause, diesmal blickte er Jill an. »Erinnerst du dich an den Abend, dem letzten, an dem wir alle zusammen aßen? Eine schwarze Frau kam, um mich zu sprechen. Sie hieß Thuleleni. Diese Thuleleni arbeitete damals in der Küche dieses Hotels, in dem wir getagt hatten. Als wir im Kleinlaster der Bernitts heimfahren wollten, war sie zufällig auch auf dem Nachhauseweg. Leon lud sie ein, ein Stück mitzukommen, und sie willigte ein.« Seine Stimme wurde leiser. »Sie war sehr schön damals, sehr jung, und kokett …« Er verstummte, gab sich dann aber einen Ruck. »Ich weiß bis heute nicht genau, was passiert ist. Einer der anderen fasste sie an, sie kicherte und lachte und flirtete mit uns. Leon fuhr an die Straßenseite. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Wir nahmen sie mit nach hinten, auf die Ladefläche, im Wagen war eine Decke …«
    Es war totenstill im Zimmer, der Shongololo war verschwunden. Jill hielt die Luft an, merkte es nicht einmal.
    Ihr Vater sah sie an. »Ich schwöre dir, ich weiß nicht, was dann passiert ist, ich war so betrunken, dass ich einen totalen Filmriss hatte. Aber vier Monate später tauchte Thuleleni bei uns auf und behauptete, von mir vergewaltigt worden zu sein und jetzt ein Kind von mir zu bekommen. Sie verlangte Geld, behauptete, es alles aufgeschrieben und den Brief einem schwarzen Anwalt gegeben zu haben. Eines Tages erschien sie mit den Zwillingen. Sie hatten diese merkwürdige Augenfarbe, mal graublau, mal graugrün. Leon Bernitt hat graue Augen, soweit ich mich erinnere, ich habe auch graue, aber mit Blau drin, die anderen hatten braune. Ich war mir sicher, der Vater zu sein. Außerdem drohte sie, es Carlotta zu sagen. Ich gab ihr Geld. Immer wieder. Über die Jahre wurde daraus eine große Summe. Dafür ließ sie mich in Frieden.« Noch immer hielt er ihren Blick fest, es wurde ihr schon fast zu viel. »An diesem Abend vor zwei Jahren nun erschien sie plötzlich, um mir zu sagen, dass sie todkrank wäre und bald sterben müsste.«
    Jill erinnerte sich an die fiebrigen Augen der Zulu. »Was hatte sie?«
    Phillip Court sah sie nicht an. »Sie hatte Aids. Keine Angst«, sagte er, hob die Hand, als Jill vor Schreck nach Luft schnappte, »sie hat sich erst Ende der achtziger Jahre angesteckt. Nun wusste sie, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb, und wollte die Zukunft ihrer Kinder sichern. Sie erzählte mir das mit den sechs Zehen, um mir endgültig zu beweisen, dass ich der Vater bin. Woher sie wusste, dass dieser Defekt in unserer Familie vorkam, weiß ich nicht. Aber sie konnte nicht wissen, dass die sechs Zehen von der Steinach-Seite kamen. Ich wusste also, dass ich nicht der Vater sein konnte, und ich wusste, dass sowohl Conrad als auch Leon mit diesem Makel geboren worden waren. Wie das zusammenhängt, weiß ich bis heute nicht. Es war und ist mir auch egal. Es machte keinen Unterschied. Ich fühlte mich entsetzlich

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