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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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knallte und aufschrie. Dann ging sie zurück ins Haus und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Sie saß im Dunkeln, zusammengekauert auf ihrem Bett. Blaulicht blitzte durchs offene Fenster, ließ das Muster der Fenstergitter über die Wände huschen, Männerstimmen brüllten, sie hörte Alastair nach ihr fragen und die Antwort von Nils. »Sie ist in ihrem Schlafzimmer. Sie braucht Ruhe, sie will allein sein. Wir müssen die Überreste der Hunde hier wegschaffen, bevor sie rauskommt. Wie sind die Kerle bloß reingekommen?«
    Ein unbekannter Mann antwortete, offenbar einer der Polizisten. »Die müssen einen Schlüssel gehabt haben, die haben einfach das Tor, auch das, was zum Dorf führt, aufgeschlossen und sind auf den Hof marschiert.«
    Sie hörte es, aber begriff es nicht. Erst Popi, dann Leon und Len. Sie würde es nicht mehr vergessen. Vorerst musste sie einen Weg finden, mit dem Wissen fertig zu werden, dass ein elektrischer Zaun, wie ihn Irma gefordert und sie selbst so entschieden abgelehnt hatte, ihrer Tante vielleicht das Leben gerettet hätte. Durch das Fenster konnte sie den Bungalow sehen, der bis auf die Grundmauern niedergebrannt war. Ab und zu sprühten ein paar Funken, aber allmählich zerfielen die Reste zu einem Haufen Glut und Asche. Es berührte sie nicht. Häuser kann man wieder aufbauen, dachte sie, Menschen bleiben tot. Und tot waren jetzt alle. Tommy, Mama, Martin, Christina. Irma. Und Dad. Der war so gut wie tot.
    Bald würde die Polizei abgerückt sein, Alastair und die anderen Farmer würden zu ihren Familien zurückkehren. Dann saß sie hier allein. Plötzlich hatte sie eine Vision von sich selbst, sah sich, auf ihrem Bett hockend, die Fenster vergittert, im Nachttisch ihre Waffe, das Haus von einem stacheldrahtgekrönten Zaun umgeben, der elektrische Draht eingeschaltet, und draußen in der Nacht, vor dem Zaun wartete der Rattenfänger mit seinen Leuten und Leon und Len.
    Ein großer Nachtfalter verirrte sich ins Zimmer. Riesenhaft vergrößert flatterte seine Silhouette im zuckenden Blaulicht über die Wände. Das Insekt fand den Weg zum Fenster, schlug verzweifelt mit seinen empfindlichen Flügeln gegen das Gitter, fand den Weg in die Freiheit nicht, sank dann ermattet auf den Boden. Er würde eingehen, würde sie ihm nicht helfen. Sie glitt vom Bett, streckte dem Schmetterling die Hand hin, fühlte mehr, als dass sie es sah, dass er auf ihren Finger kroch, und trug ihn zum Fenster. Sie zeigte ihm den Weg nach draußen, und er schwang sich in die samtene Dunkelheit. Für Sekunden konnte sie ihn noch im Scheinwerferlicht erkennen, sah zu, wie er in die Freiheit entschwebte. Dann war er weg. Sie blieb am Gitter stehen, sah in den Nachthimmel. Einfach durch die Stäbe hindurch wegfliegen können. Alles zurücklassen, nur sich selbst mitnehmen. Für Sekunden glaubte sie wirklich, dass ihr das gelingen könnte. Wie lange sie dort stand und in die Unendlichkeit starrte, war ihr nicht bewusst.
    »Jilly«, hörte sie irgendwann eine dunkle, weiche Stimme, »schließ die Tür auf. Ich möchte zu dir kommen.«
    Unter dem Fenster stand jemand. Es dauerte, bis ihre Augen die Schwärze durchdrangen und sie die Person erkannte. Nelly.
    »Ingane yami … mein Baby … musa ukukhala … weine nicht. Du bist nicht allein«, sagte die Zulu, »lass mich herein.«
    Wie in Trance ging sie zur Tür, drehte den Schlüssel, ging zurück zum Bett, kauerte sich wieder hin. Die Tür schwang auf, die massige dunkle Gestalt von Nelly, ihrer alten Nanny, trat ein, setzte sich zu ihr aufs Bett, zog sie an sich wie früher, als sie noch ein Kind gewesen war, bettete ihren Kopf an ihren großen, weichen Busen und begann leise zu singen. Anfänglich waren die Worte nur der Wind, der durch die Blätter streicht, sie machten keinen Sinn, dann allmählich, als sich ihr rasendes Herz beruhigte, die Muskeln entspannten, verstand sie, was Nelly ihr sagte.
    Sie wiegte sie in ihren kräftigen Armen, sang von Mama und Christina, von der Zeit mit Martin und Irmas großem Herzen. Ihre dunkle Stimme füllte den Raum und ihr Herz, sagte ihr, dass alle bei ihr wären, immer. Die Melodie strömte durch sie hindurch, über ihre Haut, wie warmes Wasser. »Rede mit ihnen, sage ihnen alles, was deine Seele krank macht …« Die rauchig süße Körperwärme Nellys legte sich um sie wie ein Mantel, wärmte sie bis in ihr Innerstes. Irgendwann erlosch auch das Flackern der Blaulichter, packte die Polizei ihre Ausrüstung zusammen und

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