Ein Land, das Himmel heißt
verließ den Hof. Sie lag in den Armen ihrer Nanny, bis ein neuer Tag anbrach, der goldene Schimmer am Rand der Welt ihr versprach, dass das Leben weiterging.
»Komm, Jilly, die Leute warten auf dich, sie brauchen dich.« Nelly zog sie sanft vom Bett. Die Bewegungen der Zulu setzten den scharfen Gestank von Rauch aus ihrer Kleidung frei. Erst jetzt bemerkte Jill den Geruch wirklich, entdeckte einige Brandlöcher auf Nellys Kleid. Erschrocken berührte sie eins. »Nelly, haben sie auch bei euch …?«
Die Zulu strich ihr Kleid glatt. »Diese schwarzen Affen haben versucht, unser Dorf abzubrennen. Dabulamanzis Hütte hat’s erwischt. Danach haben sie unser Bier getrunken.« Ein verschlagenes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Ich hab ein bisschen Umhlakuva zugesetzt, als keiner aufpasste. Der Teufel wird in ihrem Bauch rumoren, und sie werden glauben, dass Würmer ihre Eingeweide fressen. Dann wird ihr Inneres flüssig werden und aus ihnen herauslaufen. Es wird ihnen nicht gut gehen.«
Jill schwante, was sie meinte. »Du hast sie mit Rizinussamen vergiftet? Sie werden alle sterben.«
Nelly machte ein paar flatternde Handbewegungen, gluckste. »Sie werden nicht sterben, nur furchtbar krank sein. Ich hab nur einen Samen genommen, einen kleinen, und ihn zerrieben. Erst wenn sie drei essen, gesellen sie sich zu ihren Ahnen.« Sie lachte fröhlich.
Geschieht ihnen recht, dachte Jill, hoffentlich kommen sie vom Klo nicht wieder herunter. »Und Dabu, ist ihm etwas passiert? Ist sonst jemand verletzt?« Sie schämte sich, nicht gleich gefragt zu haben. Die Kerle waren aus der Richtung des Dorfes gekommen, sie hätte sich daran erinnern müssen und begreifen, was das hieß.
»Er ist verprügelt worden. Es waren vier, und Dabulamanzi wird ihre Gesichter nicht vergessen.« Nellys Miene zeigte deutlich, dass ein böses Schicksal diese vier Männer erwartete. »Einem anderen hat eine Kugel eine lange Spur in die Haut gefressen. Ein Krankenwagen hat beide gestern mit ins Hospital genommen. Dabus Hütte brannte schnell. Es ist nichts übrig geblieben.«
»Die Frauen? Ist ihnen etwas passiert?«
Nelly grinste breit. »Wir Frauen sind gerannt und haben uns mit den Kindern versteckt, bis diese stinkenden Söhne einer Hyäne weitergezogen sind.«
»Ich komme nachher zu euch ins Dorf. Ich muss erst duschen und mit den Gästen reden.« Sie umarmte die Zulu. »Danke«, sagte sie leise, »Yabonga gakhulu, Umame.«
»Ich mach uns Frühstück.« Damit verließ Nelly den Raum.
18
J ill ging ins Badezimmer, zog ihren zerrissenen Hosenanzug aus und musste die Zähne zusammenbeißen, als sie ihn behutsam von der Stelle herunterschälte, wo er in die Haut geschmolzen war. Die Wunde war handtellergroß und nässte. Aus ihrem Medizinschrank, der wohl gefüllt war, nahm sie eine Salbe, deckte die Wunde damit und dann mit einem Spezialverband für offene Wunden ab. Hier draußen in der Wildnis musste man auf alle Fälle vorbereitet sein. Die kleineren Schnitte und Risse wusch sie aus und desinfizierte sie. Den Hosenanzug warf sie in den Abfalleimer, duschte sich, immer besorgt, die Wunde trocken zu halten, und zog sich um. Wahllos fischte sie Jeans und ein ärmelloses schwarzes Top aus dem Schrank, schlüpfte in ihre Leinenschuhe und machte sich auf den Weg, um mit ihren Gästen zu reden, falls noch welche dageblieben und nicht schon alle abgereist waren.
Um in die Eingangshalle zu gelangen, musste sie an Irmas Zimmer vorbei. Sie zögerte, öffnete die Tür und trat ein. Ihr Duft hing im Raum, kein Parfum, sondern Irmas eigener Duft, samtig, angenehm, der kühle Duft einer Teerose. Ihr Bett war aufgeschlagen, aber nicht benutzt. Offenbar hatte sie unmittelbar vor dem Überfall noch gearbeitet. Ein hauchfeines schwarzes Gewand hing auf einem Bügel am Schrank vor dem Spiegel, verschleierte ihn. Wie in einem Totenhaus. Sie ließ es hängen.
Eines der bodentiefen Fenster stand offen, der Blick ging über das Tal hinunter zum Wasserloch. Vor dem linken Fenster stand Irmas Schreibtisch. Catherines Tagebücher lagen neben einem großen Schreibblock, der Filzstift, mit dem sie geschrieben hatte, lag auf dem Block. Ein Becher stand daneben. Sie roch hinein. Sauer gewordener Milchkaffee. Auf dem Rand der Lippenstiftabdruck ihres Mundes. Perlorange. Es hatte ihr so gut gestanden zu den weißen Haaren und zart gebräuntem Teint. Behutsam stellte sie die Tasse zurück. Im letzten Moment jedoch entglitt sie ihrer zitternden Hand und zerschellte
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