Ein Land, das Himmel heißt
Blaulichtgewitter über sie herein, die Reifen mehrerer Polizeiautos quietschten, Sirenen jaulten wie getretene Höllenhunde, Schusssalven peitschten, ein Dutzend Polizisten jagten hinter den davonhetzenden Schwarzen her, ein paar von den Gangstern brachen getroffen zusammen. Aber es war zu spät.
Jill riss sich von Nils los, rannte zu ihrer Tante und kniete neben ihr. In der Mitte von Irmas Körper, über ihrem Herzen, breitete sich ein scharlachroter Blutfleck aus. Gespenstisch huschte das Blaulicht über sie hinweg. Schluchzend versuchte sie, ihren Puls zu fühlen. Mit fliegenden Händen tastete sie Irmas Handgelenk ab, spürte nichts, legte zwei Finger an ihre Halsschlagader. Auch nichts. Langsam setzte sie sich auf ihre Fersen, hielt die Hand der Frau, die ihr die Mutter ersetzt hatte, die noch ganz warm war, deren Gesicht die friedliche Ruhe einer Schlafenden zeigte. Sie nahm nicht wahr, dass Axel sie dabei filmte. Diejenigen, die die Polizei erwischt hatte, wurden bereits in einen Gefängniswagen gebündelt, die Erschossenen lagen noch da, wo sie hingefallen waren.
Sie stand auf, sah hinunter auf Irma. Jetzt hatte Afrika ihr alles genommen, jeden Menschen, den sie geliebt hatte. Es war gierig, verschlang die Schwachen, gab sich nicht mit dem zufrieden, was es ihr genommen hatte. Es wollte auch sie selbst. Beatrice war nur nachlässig gewesen, gedankenlos, als sie gegen ihre Anweisung den Fernseher angelassen hatte, genau wie Thoko, die zu viel Seife genommen hatte, aber Leon, Len und Popi Kunene hatten genau gewusst, was sie taten.
Wie in Trance machte sie einen Schritt auf einen der tödlich verletzten Schwarzen zu, entriss ihm die Maschinenpistole. Afrika hatte auch sie geformt, sie kannte seine Gesetze. Ein Leben für ein Leben. Erst Popi, dann Leon und Len. Sie lief los, dorthin, wo diese Horde hergekommen war. Doch Nils erreichte sie, schlang beide Arme um sie, hielt sie mit aller Kraft fest. Er entwand ihr die Waffe und warf sie weit von sich.
»Lass mich los«, tobte sie, »du wirst mich nicht davon abhalten!« Sie strampelte, trat nach ihm, aber er hob sie einfach hoch und trug sie hinüber ins Haupthaus und in ihr Zimmer. Sie schrie wie von Sinnen. Grob packte er sie an den Schultern, schüttelte sie, bis ihre Zähne aufeinander schlugen und sie sich in die Zunge biss. Erst dann hörte sie auf zu schreien. »Hör mir zu, Jill, das war nicht Popi, glaub mir.« Sein Gesicht war ganz nahe vor ihrem, sie starrte ihn an, erkannte ihn nicht. »Es war nicht Popi Kunene«, wiederholte er. Blut von ihrer verletzten Zunge tropfte ihr aus dem Mund. Er wischte es mit dem Zipfel seines Hemdes ab. »Glaub mir«, bat er noch einmal.
Jemand klopfte hart an ihre Tür. »Jill? Kann ich eintreten?« Es war Alastair.
»Komm rein«, rief sie keuchend, machte sich von Nils los und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Ihr Hosenanzug hing in Fetzen an ihr herunter, sie blutete aus mehreren kleinen Wunden. Sie spürte es nicht.
»Der Krankenwagen ist da, sie bringen Irma weg. Willst du …?«
»Ja.« Sie folgte ihm schweigend, immer noch wie betäubt, achtete nicht mehr auf Nils. Irma lag auf einer Trage, eine schmale Gestalt unter der weißen Decke, die eben in den Krankenwagen geschoben wurde. Der Motor lief bereits. Ein junger Notarzt kletterte hinterher, zog die Türen zu, während der Wagen bereits anfuhr. Der Fahrer stellte Blaulicht und Sirene an und trat aufs Gas.
»Halt, warten Sie, wo bringen Sie meine Tante hin?«, rief sie, rannte hinter dem Wagen her. »Ich will nicht, dass ihr sie aufschneidet … keine Autopsie, ich will es nicht …!« Aber der Wagen fuhr schon viel zu schnell. Mitten im Weg, der von der Farm zur Hauptstraße führte, blieb sie stehen. Das flackernde Licht, die heulenden Sirenen entfernten sich schnell. Dann lag der Weg wieder dunkel vor ihr. Sie ging zurück. Die zuckenden Blaulichter der Polizeiautos erhellten ein infernalisches Schlachtfeld. Die Toten lagen nebeneinander, wie eine Jagdstrecke, ein paar der Gefangenen saßen zusammengeschnürt am Boden, ihre Zähne und Augäpfel glänzten bläulich, einer wimmerte. Es wimmelte von Uniformierten. Sie stand da, starrte, konnte nicht denken.
»Die Gute litt ja wohl unter völliger Selbstüberschätzung«, murmelte Axel hinter ihr, während er den in der Dunkelheit verschwindenden Krankenwagen filmte.
Sie drehte sich um, holte aus und schlug ihm mit aller Kraft so hart ins Gesicht, dass er mit dem Wangenknochen gegen seine Kamera
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