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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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schweigsamer Mann und redete nur in militärisch knappen Sätzen. »Vergiss ihn nie, Jill!«, rief er.
    »Du hörst es, kleines Mädchen«, nickte Ben, offensichtlich erfreut über das Lob, »also, geh nie in hohes Gras, ohne dich vorher bemerkbar zu machen.«
    Sie lauschte mit großen Augen. »Warum denn das?«
    Er lächelte. Nicht wie Daddy, der mit geschlossenen Lippen lächelte und dessen helle Augen oft ernst dabei blieben, auch nicht wie Mama, deren Lächeln fein war, träumerisch, sondern er lächelte mit seinem ganzen Körper. Seine vollen Lippen öffneten sich, zwei Reihen blendend weißer Zähne erschienen, die dunklen Augen begannen zu funkeln, aus jeder Pore strömte seine Fröhlichkeit, und Jill war sich sicher, dass die Sonne plötzlich strahlender schien. Sie liebte sein Lächeln.
    »Ho«, rief er, »du musst natürlich anklopfen, wenn du in das Schlafzimmer der Schlange treten willst, sonst wird sie wütend.« Er gluckste vor Vergnügen, hob sie hoch und trug sie zu einem Kaffirbaum, dessen Name von seinem lateinischen Namen abgeleitet worden war, Erythrina Caffra. »Sieh genau hin, kannst du sie erkennen?«
    Sie entdeckte nichts außer hellgrünen Blättern. Zwischen dem Grün leuchteten die Blüten, feurige Krönchen mit fedrigen Samenfäden. Endlich zeigte er ihr, wo die Schlange war. Zu einem Knäuel verknotet, lag sie in der Gabel zweier dicker Äste, ihre Schuppen braun wie die Borke des Baumes, den kleinen Kopf mit dem schnabelähnlichen Maul aufmerksam erhoben, die schwarzen Augen glitzerten.
    »Was macht sie mit ihrer Zunge?« flüsterte Jill, fürchtend, dass die Schlange sie hören würde. »Will sie mich fressen?«
    Ben warf den Kopf zurück und lachte, sein weicher Bauch bebte, und sie hüpfte in seinem Arm im Takt auf und ab. »Sie kann dich nicht hören, sie kann dich aber riechen, und das tut sie mit der Zunge. Sie schmeckt dich. Sie weiß, wie groß du bist und wie weit von ihr entfernt. Sieh, sie hat ihre Zunge geschluckt und legt sich wieder schlafen, weil sie weiß, dass du zu groß für sie bist. Aber vergiss nie, sie ist schnell wie ein fliegender Speer, und ihr Gift kann dich töten. Du musst lernen, wo die Grenze des magischen Kreises ist. Sie wird dich nur angreifen, wenn du diesen verletzt.« Die Stimme des großen Zulu war beruhigend wie das Schnurren einer Katze.
    »Aber hüte dich vor der Königsschlange, der schwarzen Mamba. Stehst du je einer gegenüber, stell dich tot. Nicht einmal atmen darfst du. Und dann gibt es noch iVuzimanzi«, fuhr er fort, »sie ist schwarz und glänzend und lebt im Wasser. Sie frisst Fische und Frösche, aber manchmal gelüstet ihr nach anderem. Dann kriecht sie an Land, und wenn sie deinen Schatten beißt und dann Wasser trinkt, wirst du sterben, bevor sie ihren Durst gelöscht hat …«
    Das kleine Mädchen schaute verstohlen hinunter, sah den eigenen Schatten auf dem Boden liegen. Schnell machte sie sich so klein es ging, auch der Schatten wurde klein, aber er blieb bei ihr.
    »… doch es ist eine sehr langsame Schlange, du kannst ihr davonrennen«, hörte sie Ben. »Das musst du lernen, Intombazani, zu denken wie eine Schlange, dann weißt du schon vorher, was sie tun wird«, sagte er, trat vom Baum zurück und setzte sie ab.
    Als sie den Boden berührte, wuchs ihr Schatten plötzlich ins Unermessliche. Sie erschrak fürchterlich, hüpfte hoch, drehte sich, versteckte sich hinter Ben, aber sie wurde den Schatten nicht los. Angst kroch ihr wie eine schleimige Schnecke über die Haut, und sie rannte weg, so schnell sie konnte. Aber nie schaffte sie es, ihrem Schatten davonzulaufen, auch wenn sie nur so dahinflog, als berührte sie kaum den Boden. Bens Rat vergaß sie jedoch nicht, lernte alles über Schlangen, lernte zu denken wie sie, und deshalb hatte sie keine Angst vor den schuppigen Schönheiten.
    Ruhig streckte sie jetzt ihre Hand aus, bewegte ihre Finger, und als sie erkannte, dass die Schlange ihre Aufmerksamkeit voll darauf gerichtet hatte, trat sie nach links, zwei Schritte vor und legte sehr langsam die Hand um den Fenstergriff. Der Schlangenkopf folgte ihren Bewegungen ebenso unaufgeregt, und so erreichte sie, dass das Reptil nicht mehr frei hing, sondern der Länge nach auf dem Fenstersegment lag. Sie hob den Griff, kippte die Glasscheiben, die Schlange verlor den Halt und fiel auf die Veranda hinunter.
    Sie sah dem Reptil nach, als es mit einer flüssigen Bewegung pfeilschnell über die Fliesen glitt, am seitlichen Geländer

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