Ein Land, das Himmel heißt
Sie richtete sich wieder auf. »Musst du nicht zur Schule?« Er war der Sohn von Nellys Tochter Nomusa, die vor elf Jahren bei seiner Geburt gestorben war. Seitdem lebte er bei Nelly und Ben, ein leiser Junge mit wachen Augen.
Er zeigte seine kräftigen weißen Zähne in einem strahlenden Lächeln. »Es ist Sonnabend, Madam, wir haben keine Schule heute.« Der Blick seiner großen braunen Augen unter den aufgebogenen Wimpern lag verlangend auf den Brötchen.
»Nimm dir eins.« Sie schob ihm Butter und Honig hin, bevor Nelly es verhindern konnte. Die Zulu achtete strikt darauf, dass jeder den Platz einnahm, der ihm zustand, und Jonas’ Platz war ihrem Verständnis nach unten in den Hütten. »Raus mit dir«, knurrte sie jetzt, »hilf Ben auf dem Feld. Und du musst die Kühe melken«, schrie sie hinter ihm her, als er gehorchte.
Im Hintergrund lief leise ein Radio. Es stand neben dem Herd. Jill vernahm noch die letzten Worte der Nachrichten. »Zeit für den Wetterbericht«, murmelte sie und drehte es lauter.
»Heute ist wieder ein herrlicher Tag in Südafrika«, verkündete der Wetteransager, »und so wird es bleiben. Sonne, Sonne, Sonne.«
Nellys Augen weiteten sich. In sich versunken, als lauschte sie einer inneren Stimme, starrte sie auf etwas, das Jill nicht sehen konnte. »Es wird heute regnen«, bemerkte sie düster und klatschte einen Teigkloß auf ihr Knetbrett.
»Sprechen da mal wieder deine Knochen?« Jill schmunzelte belustigt. Nelly und ihre Knochen hatten einen direkten Draht zum Wettergott, und ihre Vorhersagen trafen meist zu.
»Es wird regnen«, wiederholte die Zulu und funkelte sie aus kohlschwarzen Augen an, drückte und quetschte den Teig, bis er zwischen ihren kräftigen Fingern hervorquoll, »das Unwetter wird an diesem Tag den Fluss überschreiten, aus einem Himmel von höllischer Schwärze werden krachender Donner und todbringende Blitze herniederfahren, und Regenmassen werden das Land verwüsten.« Ihre aufgerissenen Augen schienen auf einen Punkt gerichtet, der in der Zukunft lag. »Das Glück wird Inqaba verlassen und ein Schatten wird auf unserem Land liegen. Für sehr lange Zeit«, wiederholte sie leise ihre Worte vom Abend vorher.
Verblüfft starrte Jill sie an, öffnete ungläubig die Fliegentür und blinzelte in den sonnenüberfluteten blauen Himmel über Zululand. »Unsinn, es ist keine Wolke zu sehen.« Sie zuckte die Schultern. Nelly neigte zu dramatischen Aussagen.
»Ich kann es riechen. Es riecht nach Tod«, antwortete die Schwarze in einem Ton, der ein unmissverständliches Ausrufungszeichen hinter ihre Worte setzte.
»Red nicht von Tod«, rief Jill, aber Nellys düstere Worte kratzten nicht einmal die Oberfläche ihrer Selbstgefälligkeit an.
Das war die zweite Warnung. Auch die begriff sie nicht.
»Nelly, du nervst«, fuhr eine laute Frauenstimme dazwischen, »wir können keinen Regen gebrauchen, ich werde depressiv, wenn es regnet.« Irma, Mamas ältere Cousine.
Der Augenblick war vorbei, das Gefühl des Unbehagens verschwand. Jill drehte sich um. Irma, wie immer rundlich und prall wie ein Apfel, dabei zu einem appetitlichen Karamell gebräunt und dadurch jünger aussehend als ihre dreiundsechzig Jahre, nahm sich ein knuspriges Brötchen. Erst strich sie großzügig Butter darauf, dann fingerdick Honig und biss mit allen Anzeichen von Hingabe hinein. »Ich halte nichts von Diäten«, verkündete sie, »ich polstere meine Falten von innen aus, das schmeckt gut und spart den Schönheitschirurgen … sieh hier, alles noch ganz knackig.« Sie kniff sich in ihre vollen Wangen.
Es stimmte. Jill nahm sich vor, an diese Theorie zu denken, wenn die Zeit da war. »Wie geht’s, Irma?«
Irma kaute den Happen herunter. »Schrecklich. Bin im Stress. Ich fliege heute zurück, und du weißt, dass ich das Fliegen hasse, wie deine Mutter.« Das schwarze, mit gelben Zetteln gespickte Notizbuch, das sie immer mit sich herumtrug, hatte sie auf den Küchentisch gelegt, ihre Umhängetasche aus knautschigem Leder daneben.
»Warum fährst du nicht mit dem Zug, da könntest du die Zeit sogar nutzen, um zu schreiben?«
»Ach, um Himmels willen, ausgeschlossen«, rief ihre Tante, offenbar ehrlich entsetzt, »zu laut, zu viel Volk – ja, ich weiß, ich bin ein Snob –, außerdem ist die Fahrt zu lang, da kriege ich Hühneraugen auf dem Hintern. Nein, nein, ich muss zurück nach Hause. Für die nächsten Wochen werde ich Telefon und Fax abstellen, mich von tiefgekühlten Pizzas
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