Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission ( TJRC ). Aufgabe der Letzteren, die im folgenden Jahr ihre Tätigkeit aufnahm, ist es nicht nur, die jüngste Gewaltwelle zu untersuchen, sondern auch, die Menschenrechtsverletzungen und gewalttätigen Übergriffe seit dem 12. Dezember 1963, dem Tag, an dem Kenia unabhängig wurde, zu erforschen. Grundlage der Arbeit der Kommission ist daher die Auffassung, dass man zur Lösung der Krise von 2008 nicht nur den jüngsten Aufruhr bewältigen, sondern sich der gesamten schwierigen Geschichte Kenias stellen muss. Neben der TJRC wurde 2008 auch eine Kommission für Nationale Einigkeit und Integration geschaffen, die jegliche Diskriminierung in der kenianischen Gesellschaft untersuchen, ächten und beseitigen sollte, denn diese hatte wesentlich zur Herausbildung des dysfunktionalen Systems ethnischer Ungleichheit beigetragen. Beide Gremien waren Ausdruck unseres Versuchs, in Kenia einen sozialen und politischen Wandel an Haupt und Gliedern herbeizuführen – und nichts Geringeres zu schaffen als jene Art von Führerschaft, die den problembeladenen Ländern im Herzen Afrikas auf Dauer Frieden, Stabilität und Wohlstand bringen kann.
Ein weiterer bedeutender Aspekt des Reformprozesses ist die Einbeziehung des Internationalen Strafgerichtshofs; immerhin hatten wir stets betont, wie wichtig die Anerkennung und Stärkung der Herrschaft des Rechts seien. So empfahl die CIPEV , dem Internationalen Strafgerichtshof die Namen und sonstigen Angaben über die mutmaßlichen Hauptverantwortlichen für die Gewalttätigkeiten mitzuteilen. Richter Philip Waki, der die Kommission leitete, übergab mir zusammen mit dem Abschlussbericht der CIPEV einen versiegelten Umschlag mit einer Liste der Hauptverdächtigen, den ich aufbewahren sollte, um ihn an einen Ankläger eines vorgeschlagenen und noch zu bildenden nationalen Sondergerichts weiterzugeben. Falls die kenianische Regierung nicht die nötigen Schritte einleiten sollte, um die mutmaßlichen Rädelsführer der Gewalttätigkeiten zur Rechenschaft zu ziehen, sollte ich den Umschlag dem Internationalen Strafgerichtshof übergeben.
Im Juli 2009 war klar, dass die kenianische Regierung diese Schritte nicht unternehmen würde. Daraufhin erklärte ich: »Hinausgezögerte Gerechtigkeit ist verweigerte Gerechtigkeit. Das kenianische Volk will konkrete Fortschritte in Bezug auf die Straflosigkeit sehen.« Wie im CIPEV -Bericht gefordert – der im Übrigen vom kenianischen Parlament gebilligt worden war –, gab ich den versiegelten Umschlag an Luis Moreno-Ocampo, den damaligen Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, weiter.
Nach eigenen Ermittlungen veröffentlichte Moreno-Ocampo im Dezember 2010 die Namen von sechs prominenten Kenianern, unter ihnen drei Minister, die verdächtigt wurden, die Hauptschuld an den Gewalttätigkeiten zu tragen. Im Januar 2012 gab der Internationale Strafgerichtshof dann bekannt, dass gegen vier der Verdächtigen genügend Beweise vorlägen, um ein Gerichtsverfahren gegen sie zu eröffnen. Es handelte sich um bekannte Figuren der kenianischen Politik, und unabhängig vom Ausgang stellt die Bereitschaft, Verdächtige dieses Kalibers gerichtlich zu belangen, einen wichtigen Meilenstein in Afrikas Kampf gegen die Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen dar.
Der kenianische Wahlstreit und die anschließende Gewaltwelle hatten wieder einmal vor Augen geführt, dass eine wachsende Wirtschaft und ein Wahlsystem allein nicht ausreichten, um Frieden und Stabilität zu gewährleisten. Wenn wir lediglich einen Handel zwischen den Führern vermittelt hätten, wäre unsere Intervention nur ein Pflaster auf einer Wunde gewesen, die bald wieder aufgebrochen wäre. Wir mussten nach einer wahrhaften Lösung suchen. Ein friedliches, stabiles und prosperierendes Kenia ist nur durch eine verantwortungsvolle und rechenschaftspflichtige Führung, die Achtung der Menschenrechte, Institutionen für eine gute Regierungsführung, eine gerechtere Verteilung von Wohlstand und Macht und, was am wichtigsten war, die Unantastbarkeit des Rechtsstaats zu erreichen. Davon hängt die Zukunft Kenias ab. Ob es dem Land gelingt, diese Elemente zu schaffen, bleibt abzuwarten, aber es hat sich auf einen Weg begeben, auf dem ganz Afrika ihm folgen sollte.
Mündiges Afrika
In gewisser Weise hatte ich das gesamte Jahrzehnt meiner Amtszeit als UN -Generalsekretär damit zugebracht, mich auf meine Rolle bei der Schlichtung der gewalttätigen
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