Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
zu sein. Ich hatte jetzt eine weit ernstere Verpflichtung: Indem er die UNSCOM -Mitarbeiter – wohl wissend, dass er damit eine militärische Aktion auslösen konnte – überstürzt und ohne mich vorher zu informieren abzog, brachte er annähernd vierhundert UN -Mitarbeiter, die notwendige humanitäre Arbeit leisteten, in Lebensgefahr. Sicherlich glaubte er, mich durch seinen Schritt zu zwingen, die übrigen UN -Mitarbeiter ebenfalls abzuziehen, aber er irrte sich. Die humanitären UN -Mitarbeiter blieben bis zum Irakkrieg von 2003 im Land und erfüllten ihr Mandat, indem sie das Leid der irakischen Bevölkerung linderten.
Die Iraker hatten schon zweimal in jenem Jahr, am 5. August und am 31. Oktober, die Zusammenarbeit mit der UNSCOM abgebrochen, und beide Male hatten wir sie zum Weitermachen bewegen können. Jetzt, im November, waren amerikanische Flugzeuge startbereit, die zur Strafe für die Nichterfüllung der UN -Forderungen Ziele im ganzen Irak bombardieren sollten. In Reaktion auf diese Drohung bestellte ich am 13. November umgehend den irakischen Botschafter ein, um ihm mitzuteilen, dass ich Saddam einen Brief schreiben würde, in dem ich ihn auffordern würde, die Inspektoren wieder ins Land zu lassen. Diesmal reagierten die Iraker prompt, indem sie innerhalb von 24 Stunden meine Forderung erfüllten. Als ich den Brief mit ihrer Zusage erhalten hatte, rief ich sofort Berger an – der verärgert war. »Kofi, ich will es rundheraus sagen«, erklärte er, »wir hatten unsere Flugzeuge buchstäblich schon in der Luft. Wir haben die Aktion gestoppt, aber wir gehen ein enormes Risiko ein, wenn die Iraker Sie und uns erneut durch ihre Widersetzlichkeit vorführen.« Ich pflichtete ihm bei und versicherte ihm, dass ich keinerlei Versprechungen in Bezug auf die Aufhebung der Sanktionen gemacht hätte – was ich weder tun wollte noch tun konnte. Am Ende des Gesprächs bat mich Berger, mich hinter die Vereinigten Staaten zu stellen, falls der Irak erneut sein Wort brechen sollte. »Ich bezweifle nicht, dass es eine Woche halten wird«, sagte er, »befürchte aber, dass er in drei Wochen wieder die Zugangsmöglichkeiten einschränken und uns blamieren wird.« Wieder einmal verkalkulierte sich Saddam und lieferte den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten die Rechtfertigung für den Start der Operation »Desert Fox«, eines viertägigen Bombardements irakischer Stellungen, die am 16. Dezember 1998 begann.
Wenn während der Verhandlungen des vorangegangenen Jahres die militärische Option zur Sprache kam, hatte ich jedes Mal die Frage gestellt: »Und nach der Bombardierung, was dann?« Darauf bekam ich nie eine Antwort, weder aus Washington noch aus London. Und natürlich brachten die Luftangriffe die Entwaffnung des Irak keinen Zentimeter voran. Tatsächlich leitete »Desert Fox« eine vierjährige Periode ohne Inspektionen und ohne einen Dialog mit dem Irak über dessen Platz im internationalen System ein, während die irakische Bevölkerung weiterhin unter den Sanktionen litt. Das gab Saddam das ultimative Propagandainstrument an die Hand: die Möglichkeit, dem Westen statt der eigenen Missherrschaft die Schuld am Elend seines Volks zu geben.
9/11, Afghanistan und ein neuer Krieg
Am Morgen des 11. September 2001 war ich in der Residenz des UN -Generalsekretärs auf der East Side von Manhattan, als mein Chef de Cabinet Iqbal Riza anrief und mir vom Einschlag des ersten Flugzeugs ins World Trade Center an der Südspitze Manhattans, rund fünf Kilometer vom Sitz der Vereinten Nationen entfernt, berichtete. Er bestand darauf, dass ich in der Residenz blieb, und kümmerte sich selbst um unsere unmittelbare Reaktion auf den Anschlag. Was dann folgte, das zweite Flugzeug in New York und zwei weitere Flugzeuge mit dem Ziel Washington, war schockierender als alles, was man sich jemals vorgestellt hatte. In den nächsten Stunden kamen fast dreitausend Menschen ums Leben, die aus über hundert Ländern stammten, was die Anschläge zu einem Angriff nicht nur auf die Vereinigten Staaten, sondern auf »die ganze Menschheit« machte, wie ich an jenem Tag erklärte.
Während Nane und ich wie Millionen Menschen überall auf der Welt die Schreckensbilder im Fernsehen verfolgten, empfanden wir tiefen persönlichen Kummer und Mitgefühl mit unseren Mitbürgern in einer Stadt, die auch uns zur Heimat geworden war. Nach den Anschlägen wurden die Vereinten Nationen zum Forum für eine Welle der Unterstützung und Anteilnahme
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