Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Stellvertreter Anfang März 1992 angetreten, kurz bevor die Situation in Bosnien eine dramatische, von Gewalt gekennzeichnete Wende zum Schlechteren nahm. Nach der Auflösung Jugoslawiens nach Ende des Kalten Krieges und einem heftigen, aber relativ kurzen Krieg in Kroatien hatte der Sicherheitsrat im Februar 1992 die Stationierung einer UN -Schutztruppe ( UNPROFOR ) beschlossen, die die Trennung der Kriegsparteien entlang der Konfrontationslinie zwischen Krajina-Serben und kroatischer Armee überwachen sollte. Getreu den Prinzipien der traditionellen Friedenssicherung – Zustimmung des Gastgeberstaats, Unparteilichkeit und minimaler Gewalteinsatz – sollten die Blauhelme drei sogenannte Schutzzonen schaffen, für deren Entmilitarisierung sorgen und den Zugang zu ihnen kontrollieren. Außerdem hatten sie die Aufgabe, den Rückzug der Jugoslawischen Volksarmee ( JNA ) und der irregulären Truppen aus Kroatien zu verifizieren. Wie sich herausstellte, sollten viele dieser Einheiten bald die bosnisch-serbischen Milizen im benachbarten Bosnien logistisch unterstützen und an ihrer Seite kämpfen.
Zwei Monate zuvor, nach der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens durch die Europäische Union am 15. Januar 1992, war in Bosnien eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abgehalten worden. Zwar hatten die bosnischen Serben sie boykottiert, aber Moslems und Kroaten, die zusammen in der Republik in der Überzahl waren, hatten sich mit überwältigender Mehrheit für die Unabhängigkeit ausgesprochen. Demgemäß erkannten die meisten Mitglieder der EU am 6. April den unabhängigen Staat Bosnien-Herzegowina an, wonach sich die zuvor sporadischen Kämpfe zu einem regelrechten Krieg ausweiteten, der über die neuen international anerkannten Grenzen hinweg ausgetragen wurde.
Der Krieg erwies sich als einseitige Angelegenheit. In den folgenden drei Monaten führte ein schonungsloser Ansturm serbischer Milizen und paramilitärischer Einheiten, unterstützt von der Armee Restjugoslawiens, zur Vertreibung von rund einer Million Menschen aus ihren Häusern. Der Angriff auf Bijelinja durch Truppen unter dem Befehl von Željko »Arkan« Ražnatovi ć , einem berüchtigten Berufskriminellen, der zum Milizenführer geworden war und später für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden sollte, schuf das Muster für eine Kampagne von Mord, Vergewaltigung, Plünderung und Zerstörung mit dem Ziel der ethnischen Säuberung eines Gebietsstreifens im Norden und Osten des Landes. Mit äußerster Brutalität gingen die bosnischen Serben daran, die gesamte nichtserbische, überwiegend moslemische Bevölkerung aus Städten und Ortschaften, in denen die Nichtserben bisher häufig die Mehrheit gestellt hatten, zu vertreiben. Die Offensive war ebenso rasch wie brutal; tatsächlich besetzten die bosnischen Serben den größten Teil der Gebiete, die sie während des Bosnienkrieges eroberten, bereits in den ersten sechzig Tagen.
Von dieser Entwicklung beunruhigt, begannen UN -Mitgliedsstaaten, unter ihnen einige der maßgeblichen Mitglieder des Sicherheitsrats, darauf zu drängen, dass die Weltgemeinschaft »etwas unternehmen« und die UNO ihre Aktivitäten in Bosnien verstärken solle. Da Boutros-Ghali zögerte, eine weitere umfangreiche Friedensmission auf dem Balkan in Gang zu setzen, forderte der französische Präsident François Mitterrand ihn auf, die Angelegenheit im Licht der Katastrophe zu betrachten, die sich vor Ort abspielte. Boutros-Ghali reagierte darauf, indem er Goulding im Mai 1992 nach Bosnien schickte, um die Möglichkeit der Stationierung von Friedenstruppen zu erkunden. Goulding bemerkte in seinem Bericht über den fortdauernden Krieg, die bosnischen Serben würden mit Unterstützung der Jugoslawischen Volksarmee versuchen, »ethnisch reine« Regionen zu schaffen, indem sie mit Terror, Mord und Vertreibung gegen die Nichtserben in bisher gemischten Gebieten vorgingen. Dennoch zog er den Schluss, in »seiner gegenwärtigen Phase« sei »der Konflikt nicht für eine friedenssichernde Behandlung der UN empfänglich«. Boutros-Ghali übernahm diese Schlussfolgerung, ebenso wie am 15. Mai der Sicherheitsrat.
Zu dem Zeitpunkt war das Hauptquartier der UNPROFOR in Sarajevo wegen der Kämpfe weitgehend evakuiert, und obwohl Ende April rund vierzig Militärbeobachter in die Gegend von Mostar geschickt worden waren, war die UNO in dieser Zeit, in der die Einheiten der bosnischen Serben ihre Macht über den Norden und Osten
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