Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
des Landes festigten, im ganzen Land nur spärlich vertreten. Die barbarischen Szenen des Krieges, die Ermordung oder Vertreibung Tausender von Menschen, zumeist bosnischer Moslems, fanden im Allgemeinen nicht unter den Augen der UNPROFOR statt.
Das ganze Ausmaß der Gräuel, die in den von den bosnischen Serben kontrollierten Gebieten begangen wurden, konnte jedoch nicht lange vor der Weltgemeinschaft verborgen werden, zumal der rasch anwachsende Flüchtlingsstrom kaum zu übersehen war. Für Europäer, die gerade erst das Ende des Kalten Krieges erlebt und erwartet hatten, dass sich der Übergang von der kommunistischen Herrschaft zur Demokratie auf geordnete, friedliche Weise vollziehen würde, waren die im Sommer 1992 aus Bosnien eintreffenden Nachrichten höchst beunruhigend. Die Bilder von ausgezehrten Gefangenen, die verängstigt, traumatisiert und dicht zusammengedrängt hinter Stacheldraht hockten, riefen Erinnerungen an die dunkelste Zeit der europäischen Geschichte wach. Außerdem war eine anhaltende, systematische Vergewaltigungskampagne im Gang, die offenbar zum Alltag des Konflikts gehörte. Besonders abscheulich waren die »Vergewaltigungslager«, in denen bosnische Frauen zur Verfügung der serbischen Soldaten und Paramilitärs gefangen gehalten wurden.
Die Stimmen, die zusätzliche Maßnahmen forderten, wurden immer lauter, obwohl sich die Bedingungen, die im Mai eine traditionelle Friedenssicherung ausgeschlossen hatten, nicht verändert hatten. Im Juni übernahmen UNPROFOR -Einheiten von den bosnischen Serben die Kontrolle über den Flughafen von Sarajevo. Damit sicherten sie eine entscheidende Lebensader für Hilfslieferungen ins Land, die während des gesamten Krieges von UN -Soldaten offengehalten wurde. Die erste bedeutende Ausweitung der Rolle der Vereinten Nationen in Bosnien wurde indes im September vorgenommen: Als Reaktion auf die sich verschlechternde Lage in Sarajevo und anderswo beschloss der Sicherheitsrat eine Verstärkung der UNPROFOR für den Schutz von UNHCR -Konvois, die humanitäre Hilfsgüter transportierten.
Obwohl die Truppen unverkennbar in ein Kriegsgebiet entsandt werden sollten, bestanden die sie bereitstellenden Länder darauf, dass sie in Übereinstimmung mit den »etablierten Prinzipien und Praktiken der UN -Friedenssicherung« agieren sollten. Diese Klarstellung war bedeutsam und vielsagend: »Etwas zu unternehmen« umfasste weder zu diesem Zeitpunkt noch zu irgendeinem anderen bis zum Fall von Srebrenica im Sommer 1995 die Option, in die Kämpfe einzugreifen. Wenigstens in diesem Punkt waren sich die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats ebenso wie die wichtigsten Länder, die Truppen für den Einsatz bereitstellten, einig.
Das UN -Sekretariat betrachtete dies als unabweisbare Realität. Ein ums andere Mal mussten der mich begleitende, zuverlässige und kenntnisreiche Sonderberater Shashi Tharoor und ich bei den regelmäßigen Treffen, die wir mit Vertretern der Truppen bereitstellenden Länder hatten, feststellen, dass niemand bereit war, die Mission neu zu definieren, um in die Kämpfe einzugreifen. Wenn man das täte, so wurde mir entgegengehalten, würde man die Truppen »unnötigen« Risiken aussetzen. Als der Krieg jedoch immer weiterging, stellten die internationalen Medien und entscheidende UN -Mitgliedsstaaten, wie die USA und Deutschland, zu Recht die Richtigkeit des in Bosnien angewandten Prinzips der nichtkonfrontativen Friedenssicherung öffentlich in Frage. Da man jedoch keine Soldaten in Gefahr bringen wollte, drängte man uns, mit Hilfe von Luftangriffen mehr Druck auszuüben.
Jede neue Resolution bestätigte indes die früheren Resolutionen, die eine aktive Kriegsteilnahme ausschlossen. Obwohl schließlich rund 40 000 UN -Friedenssoldaten in Bosnien stationiert wurden, blieb es im Wesentlichen eine friedenssichernde Mission: Die Truppen waren leicht bewaffnet, bei begrenzter Mobilität und ohne strategische Reserve weit verstreut, logistisch verwundbar und bei der Erfüllung ihrer Aufgaben von der Zustimmung der Kriegsparteien abhängig. Stimmen wurden laut, denen zufolge die UNO die Bosnier de facto aufgab. Doch das Mitleid, das die Öffentlichkeit für die Opfer empfand, verdeckte manchmal, was die UNO daran hinderte, zu tun, was getan werden musste – und was sie tatsächlich tat.
Anfangs hatten die UN -Friedenssoldaten im ehemaligen Jugoslawien drei Hauptaufgabenfelder: An vorderster Stelle stand die Linderung des durch den
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