Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
September 2004, bezeichnete Colin Powell die Vorgänge in Darfur als Völkermord. Doch anstatt die Diskussion zu beenden, fachte dieser Schritt sie weiter an. (Powell hatte außerdem klargemacht, dass sich die amerikanische Politik in Bezug auf Darfur trotz der neuen Sprachregelung nicht ändern würde.) Die Folge war, dass der Sicherheitsrat eine Kommission bildete, die untersuchen sollte, ob in Darfur ein Völkermord stattfand. Die Kommission unter Leitung des angesehenen italienischen Richters Antonio Cassese gelangte zu dem Ergebnis, dass die Kampagne der sudanesischen Regierung formal nicht als systematischer Versuch eines Völkermords bezeichnet werden konnte, aber Kriegsverbrechen stattfanden, für die Einzelne zur Verantwortung gezogen werden sollten. Doch dieses Ergebnis wurde erst verbreitet, nachdem der Bericht dem Sicherheitsrat vorgelegt worden war, was erst im Januar 2005 geschah.
Bezeichnungen stellen in internationalen Angelegenheiten stets ein Problem dar. Die Akteure laufen Gefahr, sich mit Definitionen herumzuschlagen, anstatt sich mit dem zu beschäftigen, was wirklich wichtig ist, nämlich mit dem Leid der Menschen. Vor dem Hintergrund dessen, was Hunderttausende von Menschen in Darfur erlitten, war die Bezeichnung »Völkermord« unwichtig. Durch die Fixierung auf das Wort »Völkermord«, als ob nur ein als Völkermord bezeichnetes Übel unserer kollektiven Entrüstung und Sorge wert wäre, wurde die Diskussion darüber, welche Maßnahmen man ergreifen sollte, weiter hinausgezögert. Für die leidenden Zivilisten spielte es keine Rolle, wie man den Konflikt einordnete oder was zu ihrer verzweifelten Lage geführt hatte. Sie starben weiterhin, und zwar in großer Zahl, infolge der Entscheidungen einer Regierung und der Aktionen ihrer bewaffneten Handlanger. Was geschah, war ein Verbrechen, ungeachtet der Form. Darfur offenbarte es – und es ist zu hoffen, dass es den Politikern der Welt nicht noch einmal demonstriert werden muss –, dass der Begriff des Völkermords kein Monopol auf die ungeheuerlichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit besitzt und nicht der einzige Anlass für ein Eingreifen sein sollte. Die bloße Anzahl der Menschen, die in Darfur litten und starben, ist Beweis genug dafür.
Am Ende dauerte es fast vier Jahre, in deren Verlauf die Massenvergewaltigungen, Verstümmelungen und Morde weitergingen, Hunderttausende aufgrund ihrer Schutzlosigkeit sowie durch Krankheiten und Unterernährung starben und Millionen aus ihren Heimatorten vertrieben wurden, bis sich der Sicherheitsrat zu einer ernsthaften Reaktion entschloss und internationale Truppen nach Darfur entsandte. Aber selbst nach dieser Wende, die Ende 2007 eintrat, mehrere Monate nach dem Ende meiner Amtszeit als Generalsekretär, hatte die entsandte Truppe lediglich das Mandat für eine »robuste Friedenssicherung«. Es war keine echte humanitäre Intervention, die das Prinzip der Schutzverantwortung hochgehalten hätte. Um wirklich etwas zu erreichen und die Darfurer Bevölkerung dauerhaft zu schützen, wäre eine machtvollere Intervention vonnöten gewesen.
Stattdessen wurde im August 2007 eine Friedenstruppe von 19 000 Mann bewilligt, die am Ende des Jahres stationiert werden sollte. Sie würde die übliche Nebenrolle spielen, die solchen friedenssichernden Einheiten lediglich bleibt. Sie würde eine weitgehend freiwillige Entwaffnung unterstützen, die Ereignisse beobachten und humanitäre Anstrengungen schützen; außerdem würde sie sich selbst verteidigen können. Sicherlich würde sie hilfreich sein, aber sie würde keine tiefgreifende Wirkung auf die Entwicklungen vor Ort ausüben können.
Darüber hinaus durfte sich die Friedenstruppe von 2007 nur mit Zustimmung der sudanesischen Regierung nach Darfur begeben. Gewiss hatte sie den Auftrag, so viele Zivilisten wie möglich zu schützen, aber mit ihren Ressourcen, ihrem Mandat und ihrer Zielsetzung konnte sie der Aufgabe, das Volk von Darfur vor brutalen Menschenrechtsverletzungen zu schützen, nicht gerecht werden.
Bei der Schutzverantwortung geht es nicht nur um Flugzeuge, Panzer und Hubschrauber oder um schnelle Militärinterventionen, durch die Massenmörder überwältigt werden sollen. Während die Geschichte gezeigt hat, dass grausame Menschenrechtsverletzungen oder ihre bedrohliche Möglichkeit manchmal auf überdeutliche Weise klarmachen können, dass Gewaltmaßnahmen geboten sind, umfasst die Schutzverantwortung ein breiteres Spektrum von
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