Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
stationierten amerikanischen und britischen Truppen band, waren sie sicher, dass niemand aus der Weltgemeinschaft gegen sie vorgehen würde, und ihr Kalkül erwies sich als vollkommen zutreffend.
Wir verließen den Sudan mit dem, was möglich war: einem gemeinsamen Kommuniqué der Vereinten Nationen und der sudanesischen Regierung, in dem Letztere zusagte, die Janjaweed zu entwaffnen, rasch eine umfassende friedliche Regelung für die Provinz zu finden und diejenigen, die Menschenrechtsverletzungen begangen hatten, »unverzüglich« zur Verantwortung zu ziehen. Es überraschte kaum, dass sich all diese Versprechen als hohl herausstellten.
Damals stellten sich viele die Frage, ob in Darfur ein Völkermord stattfand. Der Grund für die zunehmende Dringlichkeit, mit der über diese Frage diskutiert wurde, war die irrige Annahme, sie sei gleichbedeutend mit der Frage, ob die Welt Maßnahmen gegen den Sudan ergreifen sollte. Eine der beiden Fragen zu bejahen hieß, so glaubte man, auch die andere zu bejahen. Doch das war ein Fehlschluss. NGOs und Menschenrechtsgruppen hatten eine gewaltige weltweite Kampagne für ein internationales Eingreifen in Darfur in Gang gesetzt. Frühere Fälle von großem Leid, bei denen, wie man einhellig meinte, eine internationale Militärintervention geboten gewesen wäre – der Holocaust in Europa und das Massaker an den Tutsi in Ruanda –, waren eindeutig genozidal gewesen. Der Fehler bestand darin, dass man glaubte, um eine Intervention zu rechtfertigen, müsse man die Geschehnisse in Darfur wie jene früheren Katastrophen als Völkermord etikettieren. Deshalb zielte die Kampagne unter anderem darauf ab, Regierungen dazu zu bringen, die Ereignisse in Darfur als Völkermord anzuerkennen.
Als der US -Kongress am 9. Juli 2004 genau das tat, glaubten viele, dass jetzt etwas geschehen würde. Aber sie irrten sich. Denn bei näherer Betrachtung konnte der Konflikt in Darfur nicht eindeutig als genozidal angesehen werden, weshalb die Entschließung des US -Kongresses lediglich bewirkte, dass das Problem der Definition des Konflikts – und nicht die Frage, was man tun konnte, um den Millionen leidender Menschen zu helfen – in den Mittelpunkt der Beratungen des Sicherheitsrats rückte. So befragte mich der britische Außenminister Jack Straw am 7. September 2004 zum wiederholten Mal zu dem, was seiner Meinung nach die Kernfrage darstellte: nämlich, ob es sich um einen genozidalen Konflikt handelte. Sie war zur Schlüsselfrage der internationalen Debatte geworden. »Was würden Sie heute antworten, wenn man Sie fragte, ob dies ein Völkermord sei?«
Ich antwortete ihm so, wie ich es auf ähnliche Fragen seit Monaten getan hatte: »Tatsache ist, dass, wie immer wir sie nennen, in Darfur eindeutig grobe, systematische Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts begangen werden und die Situation die größte humanitäre Katastrophe der Welt ist.« Nach meiner Ansicht war dies alles, worauf es ankam. Aber Straw forderte mich auf, meine Auffassung darüber, ob es sich um einen Völkermord handelte, klarzustellen. »Ich habe mich gescheut, von einem Völkermord zu sprechen«, erklärte ich, »weil Expertenteams, die dorthin gereist sind, angesichts der Komplexität der Situation vor Ort sich nicht darauf festlegen konnten, dass eine rechtliche Definition des Völkermords oder, streng genommen, auch nur der ethnischen Säuberung anwendbar ist.«
Straw überging mein Argument, dass die Frage nach dem Etikett, die alle politischen Führer, die damals mit dem Thema zu tun hatten, in ihren Bann zog, irrelevant sei, und beschäftigte sich weiter damit. Offenbar war diese Frage in Großbritannien und anderswo zu einem bedeutenden innenpolitischen Thema geworden.
»Ist es vorstellbar, dass es Ihnen obliegen könnte, dem Sicherheitsrat in der Frage, ob es sich um einen Völkermord handelt, einen Rat zu erteilen?«, fragte er.
»Das ist möglich«, antwortete ich. »Aber lassen Sie mich betonen, dass wir hier darüber diskutieren, ob es ein Völkermord ist, während wir alle uns darauf einigen könnten, dass es sich um eine schreckliche Situation handelt, gegen die etwas unternommen werden muss.«
Diese Botschaft, die ich seit Monaten in Reden, Interviews und Gesprächen mit Politikern verbreitet hatte, stieß nicht auf das gewünschte Echo. Stattdessen konzentrierte man sich weiterhin auf die Frage der richtigen Etikettierung. Zwei Tage nach meinem Treffen mit Straw, am 9.
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