Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Aktivitäten und verschiedene Arten der Intervention, um das Leben und die Rechte von Einzelnen überall auf der Welt zu schützen. In manchen Fällen ist, wie im Kosovo, der sofortige Einsatz von militärischer Gewalt vonnöten – aber sie allein wird nie ausreichen. Letztlich hängt der dauerhafte Schutz von Zivilisten von den friedlichen Umständen und von den Institutionen ab, unter denen sie leben, sowie von deren Stabilität und Robustheit gegenüber den subversiven Anstrengungen derjenigen, die Böses im Schilde führen. Richtig verstanden, geht es bei der Schutzverantwortung vor allem darum, dauerhafte Institutionen – zumeist staatlicher Art – zu schaffen und zu sichern, die den friedlichen Schutz des Lebens und der Rechte der Menschen gewährleisten.
Meiner Ansicht nach wird die Schutzverantwortung in Zukunft zu einer Norm werden, die den Nationen und Völkern einen Maßstab an die Hand gibt, an dem sie ihre Regierungen messen können. Ein Beispiel ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die wir heute als selbstverständlich betrachten und auf die wir uns als eines der grundlegenden Dokumente der Weltgemeinschaft beziehen. Hätte es etwas geändert, wenn es sie schon vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben hätte? Hätte sie den Völkern geholfen, die Gräuel, die in ihrem Namen begangen wurden, zu verhindern? Wie hätten Regierungen, Einzelne und die Zivilgesellschaft sie nutzen können, um wenigstens einige der Exzesse zu beenden? Heute weiß jeder, dass es einen allgemein anerkannten Katalog von Menschenrechten gibt, und man bezieht sich auf ihn, um den Schutz dieser Rechte einzufordern. Die Schutzverantwortung baut darauf auf und legt die Verantwortung auch in die Hände der Weltmächte, die in der Lage sind, für das Gute zu intervenieren.
Wir haben die Überzeugung angefochten, dass das Leben und die Rechte des Einzelnen eine innere Angelegenheit der Staaten seien und Außenstehende nichts angehen. Und wir haben den Diktatoren klargemacht, dass Souveränität kein Schutzschild mehr ist, hinter dem grobe Menschenrechtsverletzungen begangen werden können. Jeder ist verantwortlich, und jeder kann zur Verantwortung gezogen werden.
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VEREINTE NATIONEN
DER VÖLKER
Reform der Weltregierung und Wiederherstellung
der Herrschaft des Rechts
Wofür sind die Vereinten Nationen da? Das war die Frage, die ich mir selbst immer häufiger stellte, während ich die Vielzahl der Themen, mit denen wir konfrontiert waren, und die Art, wie wir mit ihnen umgingen, betrachtete. Während meiner Zeit in der Friedenssicherung war ich mit den tiefsten Tragödien von Frauen und Männern, die von Konflikten erfasst worden waren, in Berührung gekommen. Viele von ihnen hatten bei den Vereinten Nationen Sicherheit gesucht und eine Organisation gefunden, die unfähig war, sie ihnen zu bieten. Während ich unsere Verantwortung gegenüber unserer Aufgabe überdachte, wurde mir klar, dass wir deutlich machen mussten, für wen wir kämpften.
Als Organisation von Staaten, die eifersüchtig über ihre Privilegien wachten, hatten sich die Vereinten Nationen zu einer Institution entwickelt, der es in erster Linie um Selbsterhaltung ging. Unterdessen waren wir vom Weg abgekommen und hatten die ersten Worte der UN -Charta vergessen: »Wir, die Völker der Vereinten Nationen«. Wir mussten unseren Blick neu ausrichten – auf die einzelne Frau, den einzelnen Mann und das einzelne Kind, die Sicherheit, Gesundheit und Chancen brauchen. Wir mussten die Vereinten Nationen zu den Völkern zurückbringen, in deren Namen sie gegründet worden waren.
Im Oktober 2001 erhielt ich eines Morgens noch vor Tagesanbruch einen Anruf von Fred Eckhard. Er war mein Sprecher, seit ich das Amt des Generalsekretärs angetreten hatte, und solche Anrufe waren nichts Ungewöhnliches, bedeuteten allerdings meistens, dass er mir schlechte Nachrichten mitzuteilen hatte. Diesmal indes war Fred von einem Mitarbeiter eines norwegischen Radiosenders angerufen worden, der kaum Englisch sprach, aber ständig meinen Namen wiederholte. »Ich glaube, Sie bekommen den Nobelpreis«, meinte Fred in seiner typischen ruhigen Art.
Zuerst wollte ich es nicht glauben. Sicherlich würde sich das Nobelpreiskomitee selbst mit dem Preisträger in Verbindung setzen, sagte ich Fred. Doch dann riefen mich meine Schwiegereltern Gunnar und Nina Lagergren aus Stockholm an, um mir zu gratulieren. Später meldete sich tatsächlich auch das Nobelpreiskomitee und entschuldigte sich
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