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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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des Kontinents gegeben wurde. Der Kolonialismus und die Wirtschaftspolitik der Außenwelt, insbesondere der Geberländer, schienen die einzigen Ursachen zu sein. Am schlimmsten war, dass die ständige Beschwörung einer antikolonialen Haltung und der Schuld der Außenwelt wenigen Einzelnen, die alles andere als Helden waren, in die Hände spielte. Wie bei herrschenden Cliquen üblich, hatten diese Männer kein Interesse daran, eine Veränderung des verheerenden Status quo, der ihnen die Erfüllung ihrer persönlichen Interessen garantierte, zuzulassen. Die alles überspannende Debatte über die Übel des Kolonialismus war in Wirklichkeit ein Werkzeug, mit dem sie die Menschen davon abhielten, echte Fortschritte zu fordern. Es war eine in jeder Hinsicht rückständige Einstellung.
    Deshalb bemühte ich mich von Anfang an, meine Position zu nutzen, um die Diskussion in eine andere Richtung zu lenken. In meinem ersten Amtsjahr verlangte der Sicherheitsrat einen Bericht über Afrika und die Möglichkeiten der Weltgemeinschaft, die Ursachen und Folgen der Konflikte auf dem Kontinent zu bekämpfen. Ich beauftragte ein Team unter Leitung eines hohen afrikanischen UN -Mitarbeiters damit, den Bericht zu verfassen. Der Text, den es mir vorlegte, wiederholte jedoch nur allzu viele der bekannten alten Argumente und legte den Schwerpunkt wieder einmal auf die Übel des Kolonialismus und die Versäumnisse der Geberländer. Ich war, gelinde gesagt, enttäuscht. Auf diese Art brachten Afrikaner allzu oft ihre Anliegen auf internationalen Foren vor. Es war eine überholte, wenig hilfreiche und letztlich unehrliche Geisteshaltung, die überwunden werden musste. Mir war klar, dass ich mich als Afrikaner jetzt in einer hervorragenden Position befand, um eine Veränderung der afrikanischen Haltung in dieser Debatte herbeizuführen. Meine Stimme würden die Afrikaner nicht so leicht ignorieren können wie andere.
    Nachdem ich den Entwurf gelesen hatte, stellte ich ein neues Team zusammen, das das Projekt übernehmen und einen von Grund auf neuen Bericht verfassen sollte. Die Leitung übergab ich drei neuen Mitarbeitern, darunter, was wichtig war, einem jungen Afrikaner, dem Simbabwer Stanlake Samkange, der eine andere Haltung repräsentierte als die ältere Generation von Afrikanern. Meine Anweisungen waren einfach: dass wir es den Völkern Afrikas schuldig waren, die Wahrheit zu sagen und offen und ehrlich ihre Herausforderungen und Hoffnungen zu benennen. Die alte Argumentation vom Kolonialismus und vom Versagen der Geberländer als den Hauptschuldigen für alle afrikanischen Leiden müsse ad acta gelegt werden.
    »Das ist fast un- UN -mäßig«, bemerkte Untergeneralsekretär Karl Theodor Paschke nach der Veröffentlichung des Afrika-Berichts. Er meinte die Direktheit und Aufrichtigkeit des Berichts. Denn so waren UN -Berichte in der Vergangenheit nicht geschrieben worden. Mit seiner Veröffentlichung verabschiedeten wir uns von einer Tradition übertriebener Vorsicht aus diplomatischer Rücksichtnahme.
    »Zu lange«, erklärte ich, als ich den Bericht am 16. April 1998 dem Sicherheitsrat präsentierte, »wurden Konflikte in Afrika als unvermeidbar oder unlösbar oder als beides zusammen betrachtet. Sie sind weder das eine noch das andere. Konflikte in Afrika werden, wie anderswo auch, von menschlichem Handeln verursacht und können durch menschliches Handeln beendet werden.« Ich sprach aus der neuen Perspektive von Verantwortung und Rechenschaftspflicht, die der Bericht anlegte. »Mehr als drei Jahrzehnte, nachdem die afrikanischen Länder ihre Unabhängigkeit erlangt haben«, heißt es in dem Bericht, »erkennen die Afrikaner selbst immer klarer, dass es nicht ausreicht, nur die koloniale Vergangenheit für die derzeitigen Konflikte und ihre Ursachen verantwortlich zu machen. Mehr denn je muss sich Afrika heute selbst den Spiegel vorhalten.«
    Implizit hieß das – so deutlich, wie ich es ausdrücken konnte –, dass die bisherigen Fehlentwicklungen und menschlichen Tragödien in Afrika ebenso wie alles andere von Afrikanern und ihren Führern zu verantworten waren. Die Folgen des Kolonialismus wurden in dem Bericht zwar erwähnt, aber als ein historischer Faktor unter vielen, der bei der Erklärung der Gegenwart nur am Rande von Bedeutung war. Auch das Versagen der Weltgemeinschaft wurde angesprochen, einschließlich desjenigen der Vereinten Nationen, das heißt ihre Unfähigkeit, den Völkern Afrikas zu helfen, den Frieden zu

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