Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
neuen Führer förderten Repräsentanz und Partizipation ebenso wenig, wie es der Kolonialstaat getan hatte.
Hinzu kam die revolutionäre Erfahrung, die in der postkolonialen Ära Probleme bereitete. Für Freiheitskämpfer stand im Kampf gegen den Kolonialismus die Einigkeit aus guten Gründen an oberster Stelle, ebenso wie die Disziplin, die für einen erfolgreichen Unabhängigkeitskampf nötig war. Diese Auffassung von der Organisation revolutionärer Kader und der Mobilisierung von Unterstützern für ein gemeinsames Ziel wurde nach den Unabhängigkeitskriegen in die Politik der Friedenszeit übertragen, mit der Folge, dass revolutionäre Führer aufgrund derselben Eigenschaften, die im bewaffneten Kampf ihren Erfolg gesichert hatten, zu schlechten Regierenden in Friedenszeiten wurden. Sie behielten in den postkolonialen Staaten die Vorstellung von absoluter Einigkeit als Grundlage ihrer Autorität bei und unterdrückten sogar den Gedanken an Abweichung. So ebneten revolutionäre Bewegungen, die das Ziel der Entkolonialisierung geeint hatte, dem Einparteienstaat den Weg, der die gesellschaftlichen Gegensätze leugnete und eine weitere Rechtfertigung der personalisierten Herrschaft lieferte.
Manchmal wird der Kampf für die Demokratie in Afrika auch von einem gewissen kulturellen Relativismus behindert, von der Vorstellung nämlich, die Demokratie sei kein natürlicher afrikanischer, sondern ein europäischer Wert. Aber wie die Ansicht, dass der Kolonialismus an allem schuld sei, dient auch diese Auffassung nur denjenigen, die den moribunden Status quo aufrechterhalten wollen. Darüber hinaus beruht sie auf überholten Scheinargumenten.
In Wirklichkeit sind die Werte des Pluralismus und der kollektiven Entscheidungsfindung in unseren ältesten Traditionen verwurzelt. Sie lassen sich überall auf dem Kontinent in den frühesten Zeugnissen der afrikanischen Kultur finden. Das traditionelle Mittel der Konfliktlösung ist ein Treffen unter einem Baum, wo man so lange bleibt, bis eine alle Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden ist. Ein ghanaisches Sprichwort lautet: Ein Kopf ist für eine Entscheidung nicht genug. Tatsächlich haben afrikanische Gemeinden, von der Dorfebene aufwärts, Entscheidungen traditionell in freien Diskussionen getroffen, in denen unterschiedliche Standpunkte gegeneinander abgewogen wurden, bis ein Konsens erreicht war. Sogar im Häuptlingssystem musste der Anführer, wenn er nicht abgesetzt werden wollte, den Willen des Volks beachten und konnte nur mit dessen Unterstützung handeln.
Auch der Begriff der ubuntu aus der Sprache der Xhosa, der etwas bezeichnet, dem sich alle Afrikaner instinktiv verpflichtet fühlen, ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Er ist ein Element des afrikanischen Humanismus, das frei übersetzt die Idee der kollektiven Abhängigkeit meint: »Ich bin, weil wir sind.« Diese Philosophie beschreibt die Vorstellung vom gleichen Anteil aller an der Gesellschaft und aneinander, und ihre Grundprinzipien lassen sich leicht mit denen der liberalen Demokratie in Einklang bringen.
In meiner Amtszeit als Generalsekretär trat der Hunger nach politischer Veränderung in Afrika immer deutlicher zutage. Im Jahr 1997 war er indessen nur selten zu spüren; zu übermächtig waren die Herrscher und zu groß das Tabu, mit dem offene Kritik an ihnen belegt war. Aber es brauchte nicht viel, um ihn an die Oberfläche treten zu lassen. Das zeigte ein kleines Erlebnis, das ich während eines Besuchs in Gabun hatte. Auf einer Pressekonferenz mit überwiegend afrikanischen Journalisten wurde mir provokativ die Frage gestellt: »Mr. Generalsekretär, Sie üben häufig Kritik an Afrika und afrikanischen Regierungen. Ist das gerecht? Und warum tun Sie das?«
»Ich tue viel für Afrika, und ich kenne seine Schwierigkeiten«, antwortete ich. »Aber ich bin Afrikaner, und ich nehme mir das Recht heraus, Afrika und Afrikaner zu kritisieren. Und ich werde es weiterhin tun.«
Die Journalisten reagierten darauf augenblicklich mit spontanem Applaus – in einer Pressekonferenz ein eher merkwürdiges Verhalten. Aber es zeigt, dass es genügte, diesen verborgenen Nerv zu berühren, um das wahre Verlangen der Afrikaner nach einem verantwortungsvollen und rechenschaftspflichtigen Regierungssystem offenzulegen.
In jüngster Zeit sind in Afrika große Fortschritte gemacht worden, aber es sind noch weitere nötig. Zudem verläuft die Entwicklung höchst ungleich. In Ghana zum Beispiel haben nach
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