Ein Leben lang
Und warum hast du mich hierher geschickt, ohne mir von Quinn und Cully zu erzählen? Oder hast du das alles extra so arrangiert?“
Es dauerte einen Moment, bis Kathleen antwortete: „Ja. Ich wollte, dass du sie ganz vorurteilsfrei kennen lernst und umgekehrt ebenso.“
„Und was für Vorurteile sollten das sein?“
„Nun, sie müssen mich hassen, Rebecca.“ Kathleens Stimme klang gepresst. „Ich habe sie im Stich gelassen und mich auch später nie bei ihnen gemeldet. Ich wollte einfach nicht, dass sie die negativen Gefühle, die sie mir gegenüber verspüren, auf dich übertragen, und sie wussten ja nichts von dir.“
„Sie wussten sehr wohl von mir. Und zwar schon seit einigen Jahren.“
„Aber wie….“
„Quinn behauptet, dass Charlie seit deinem Weggang damals einen Privatdetektiv beauftragt hatte, nach dir zu suchen. Das haben die beiden allerdings erst nach seinem Tod erfahren. Und vor drei oder vier Jahren hat der Detektiv herausbekommen, dass du von Montana nach Los Angeles gegangen bist und dort eine Tochter zur Welt gebracht hast.“
„Oh, mein Gott“, flüsterte Kathleen, „Charlie hat mich suchen lassen?“
„Ja, und zwar offenbar bis zu seinem Tod.“ Rebecca versuchte ihre wachsende Wut im Zaum zu halten. „Alles, was du mir erzählt hast, war eine Lüge, stimmt’s? Dass du in Los Angeles aufgewachsen bist, und dass ich keine Verwandten habe und einfach alles.“
„Ja.“
„Wie konntest du mir das bloß antun, wo ich mir als Kind so sehnlichst Geschwister gewünscht habe?“
„Alle Einzelkinder wünschen sich zu irgendeinem Zeitpunkt Geschwister, Rebecca. Erst nachdem du mir erzählt hattest, dass du Steven heiraten willst, wurde mir klar, wie sehr du dich dein ganzes Leben lang nach einer heilen Familie gesehnt hast.“
„Was hat denn jetzt Steven damit zu tun?“
„Als ich dich fragte, warum ausgerechnet Steven, hast du geantwortet, weil er auch Kinder will und dass du dir eine ruhige leidenschaftslose Ehe wünschst.“
„Und das hat dich überrascht?“ Rebecca glaubte sich verhört zu haben. „Ich wusste immer, dass ich ein uneheliches Kind bin, Mutter. Ich war noch nicht mal acht, da hörte ich die Hausmädchen schon über uns klatschen und wollte meinen Ohren nicht trauen. Dass ich das Produkt einer leidenschaftlichen Affäre sei, die du vor deiner Ehe hattest. So etwas wollte ich meinen ungeborenen Kindern immer ersparen. Und eine leidenschaftliche Beziehung zu einem Mann wollte ich schon gar nicht. Nicht, nachdem ich dich habe weinen sehen, als ich dich nach meinem Vater fragte. Eine Ehe wie Harolds und deine erschien mir da viel erstrebenswerter. Von gegenseitiger Achtung geprägt und freundlich, aber ohne verzehrende Leidenschaft.“
„Oh, Rebecca.“ Kathleen seufzte. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Mir war nie klar, dass du so empfindest. Früher warst du zu jung, um zu verstehen, warum ich Harold geheiratet habe, und jetzt, wo er tot ist, bin ich mir nicht sicher, ob es noch wichtig ist.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob du in diesem Fall wirklich beurteilen kannst, was wichtig ist und was nicht, Mom. Unbestritten ist jedoch, dass du geglaubt hast, es sei unwichtig für mich zu wissen, dass ich zwei Brüder habe, und dieser Umstand lässt mich an deinem Urteilsvermögen ganz allgemein zweifeln.“
„Rebecca, ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, aber…“, protestierte Kathleen frustriert.
„Ich glaube nicht, dass ich das noch weiter mit dir diskutieren will – jedenfalls im Moment nicht“, unterbrach Rebecca sie schroff, während sie spürte, wie sich ihr Magen noch mehr verkrampfte. „Ich melde mich wieder.“
„Rebecca, wir müssen…“
Rebecca legte behutsam den Hörer auf.
Dann war es also die Wahrheit. Sie hatte immer gewusst, dass sie ein uneheliches Kind war, aber sie und ihre Mutter hatten ihre eigene Familie gegründet, mit engen Banden, die sie beide stärker machten. Harold hatte zu ihrem Leben zwar dazugehört, aber sie und Kathleen waren immer eine Einheit gewesen. Kathleen war nicht nur ihre Mutter, sondern auch ihre beste Freundin gewesen, der einzige Mensch, auf der Welt, dem sie alles erzählen und dem sie blind vertrauen konnte.
Erfahren zu müssen, dass ihre Mutter eine dunkle Vergangenheit hatte, dass Kathleen sie belogen oder ihr zumindest wichtige Dinge verschwiegen hatte, brachte Rebeccas Grundüberzeugungen ins Wanken.
Als das Telefon klingelte, nahm Rebecca nicht ab, sondern wartete, bis sich
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