Ein Leben unter Toten
und man kippte kurzerhand die mit Sagen und Legenden durchzogene Erde Cornwalls über die schmucklosen Särge. Nicht nur auf dem Friedhof fehlten christliche Symbole. Sie waren auch aus dem Heim verbannt worden. Man hatte dies den Insassinnen zur Auflage gemacht, und die Frauen richteten sich danach, denn sie wollten keinen Streit mit Blanche Everett provozieren. Zudem waren viele froh, überhaupt einen Platz bekommen zu haben, und da nahm man so manche Unterdrückung in Kauf. Im Alter rebellierte man nicht mehr. Das wußte die Everett verdammt genau. Deshalb konnte sie sich die kleinen Einlagen auch leisten.
Aber Carola Finley wollte nicht aufgeben. Sie hatte einen Punkt erreicht, der einen Stopp verlangte.
Es war der Tod einer Freundin gewesen. Diana Colemans Ende hatte in ihr den Willen zum Widerstand wachsen lassen. Sie wehrte sich gegen diese Unterdrücker, und irgendwann würde sie einen regelrechten Aufstand proben. Die anderen konnten nicht alles machen, ein Rest von Menschenwürde mußte bewahrt bleiben.
Heute wurde Diana Coleman zu Grabe getragen. Sie war eine mutige Frau gewesen und hatte sich nicht beugen wollen. Carola Finley war nun gespannt, ob sich etwas änderte, denn Diana hatte einen Brief an eine in London lebende Freundin geschrieben, damit diese mal nach dem Rechten sah und auch Alarm schlug wenn es sein mußte. Ob sie damit Glück gehabt hatte, mußte sich erst noch herausstellen. Jedenfalls war Diana Coleman aufgefallen und nun tot.
Bei diesem Gedanken verzogen sich die Lippen der Frau. Sie ballte ihre mageren Hände und hörte hinter sich Schritte. Hastig fuhr sie herum, das Herz schlug schneller, sie dachte sofort an die Everett, doch sie schaute in das Gesicht ihrer Leidensgenossin Edith Wiser.
»Diana hat es hinter sich«, sagte Edith.
Carola nickte nur. Sie mochte die Wiser nicht, und das hatte sie der Frau auch oft genug zu verstehen gegeben. Von der ganzen Erscheinung her war ihr dieses Weib unsympathisch. Sie trug das Haar kurzgeschnitten und hatte es sogar färben lassen. Manchmal benutzte sie Spray, um ihre blonde Pracht in Form zu halten An den dünnen Fingern steckten Ringe aus billigem Plastik.
»Was willst du?« fragte Carola. Ihr Ton ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß sie Gesellschaft momentan nicht mochte.
»Mal schauen.«
»Das kannst du auch woanders.«
Die Wiser lachte. Sie öffnete dabei die faltigen Lippen und ließ ein meckerndes Geräusch hören. »Du magst mich nicht, wie?«
»Hast du das auch schon gemerkt?«
»Dabei sollten wir uns besser vertragen, meine Liebe.«
»Und weshalb?«
Die Wiser hob ihre Schultern »Schließlich stehen wir hier gegen einige Leute, und wir sollten stärker zusammenhalten.«
Carola Finley war klar, daß die Wiser nicht aus eigenem Antrieb zu ihr gekommen war. Wahrscheinlich hatte man sie geschickt, um die Spionin zu spielen. Aber Carola machte das Spiel mit.
»Gegen wen sollten wir denn zusammenhalten?« erkundigte sie sich wie nebenbei.
»Es gibt doch da einige Schwierigkeiten, wie mir scheint. Oder bist du mit der Everett zufrieden?«
»Es geht.«
»Jetzt lügst du!«
»Was willst du eigentlich?« fuhr Carola ihre Kollegin an. »Los, rück mit der Sprache raus!«
»Nichts, gar nichts.«
»Dann laß mich auch in Ruhe, zum Teufel. Ich muß mich auf die Beerdigung vorbereiten. Wie du sicherlich weißt, war Diana meine Freundin. Wir haben uns immer gut verstanden.«
»Und jetzt ist sie tot«, stellte Edith fest.
»Das ist sie. Und ich frage mich, wie sie umgekommen ist?«
Edith Wiser lächelte schmal. »Herzschlag das hast du doch genau gehört, oder nicht?«
»So sagen sie.«
»Du glaubst es nicht?« Die Frage klang lauernd. Ihre Augenbrauen hatten sich verengt.
»Was ich glaube oder nicht, spielt hier keine Rolle. Ich weiß nur, daß Diana nicht mehr zurückkommen wird, das ist es…«
»Bist du da sicher?«
Carola zuckte zusammen. »Wie meinst du das?«
»Daß sie nicht mehr zurückkehren wird.«
»Sie ist tot.«
»Das stimmt. Aber manchmal, da…« Edith sprach nicht mehr weiter, sondern drehte sich um, weil in der großen Eingangstür die Everett erschienen war.
Carola hatte etwas dagegen.
Sie faßte Edith an der Schulter hart an und drückte ihre Finger zu. »Was meinst du mit deiner Andeutung? Los, ich will es wissen!«
»Tut mir leid, aber die Beerdigung beginnt. Vielleicht reden wir später darüber. Heute abend, beim Sommerfest. Mit unseren Gästen. Das wird sicherlich eine tolle Feier.«
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