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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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von drei Billionen führen müssen. Übrigens sind die Deutschen genauso schlimm wie die Chinesen. Wir produzieren, am Anteil des BIP gemessen, einen Überschuss in der gleichen Größenordnung. Die Deutschen sind heute wirtschaftlich wieder sehr stark, und sie bedrängen andere in einer Weise, die diesen nicht gefällt.
    LEE Aber können Sie Ihre Wähler überreden, mehr zu konsumieren und weniger zu exportieren?
    SCHMIDT Ich mahne das zuhause immer wieder an: Wir sollten weniger exportieren, und wir sollten die Löhne etwas mehr ansteigen lassen. Es wäre nicht unmöglich, es wäre sogar leicht. Heute laufen wir Gefahr, zum Buhmann der ganzen Welt zu werden – neben China.
    LEE Wenn man nicht mehr konkurrenzfähig wäre, würde man einen solchen Schritt schnell bereuen. Man kann die Gesetze der Wirtschaft nicht außer Kraft setzen. Die Preise der Deutschen sind konkurrenzfähig, und ihre Produkte sind qualitativ besser als diejenigen anderer, deshalb können sie exportieren und Überschüsse erwirtschaften. Das ist in jedem Fall eine bessere Position, als wenn ihre Löhne hoch und ihre Produkte nicht konkurrenzfähig wären und sie kein Problem mit der Handelsbilanz hätten.
    SCHMIDT Es wäre besser, eine ausgeglichene Leistungsbilanz zu haben.
    LEE Die ist schwer zu erreichen. Und ich glaube nicht, dass eine deutsche Regierung, ob sozialdemokratisch oder konservativ, jemals die Auffassung vertreten wird, der deutsche Arbeiter sollte einen höheren Lebensstandard haben, wenn dadurch die Exportindustrie aufs Spiel gesetzt werden würde.
    SCHMIDT Von Mitte der sechziger Jahre bis zur Wiedervereinigung gab es mindestens zweieinhalb Jahrzehnte lang eine einigermaßen ausgeglichene Zahlungsbilanz. Und es ging uns damals nicht gerade schlecht. – Aber jetzt sind wir fast bei philosophischen Wirtschaftsfragen angelangt. Was hätte Konfuzius von einem solchen Gespräch gehalten?
    LEE Ich denke, eine globalisierte Welt mit freiem Markt und freiem Handel hätte er sich nicht vorstellen können. Die Welt, in der er dachte, war ein China, das keine Beziehungen zur Außenwelt brauchte und zufrieden in sich ruhte. Heute muss China, wenn es wachsen will, Rohstoffe aus Afrika und Australien importieren – Kohle, Eisen. Das hat es in der Geschichte bisher so nicht gegeben. Aber es ist eine Veränderung, die die chinesische Haltung zur Welt und die Außenpolitik Chinas verändern wird.
    MATTHIAS NASS Zwei Fragen: Was macht ein Land konkurrenzfähig, allein das Wirtschaftssystem? Und: Kann Amerika seine Konkurrenzfähigkeit zurückerlangen?
    LEE Um konkurrenzfähig zu sein, braucht man nach meinem Verständnis gut ausgebildete und motivierte Arbeiter, Denker nicht nur an der Spitze, sondern auf der gesamten Stufenleiter und in allen Bereichen der Wirtschaft – so etwas wie euren Mittelstand in Deutschland, der Präzisionsmaschinen herstellt. Um dies zu erreichen, braucht man eine gut ausgebildete Bevölkerung. Amerikas größte Schwäche, die seine künftige Stellung bedroht, ist die mangelnde Bildung in der Breite. Sehr hohe Qualität an der Spitze, aber mittelmäßige, tatsächlich sogar schlechte Qualität in vielen Bundesstaaten. Und die Zentrale kann hier nicht lenkend eingreifen, weil Bildung Sache der Bundesstaaten ist.
    SCHMIDT Dem würde ich zustimmen, möchte aber hinzufügen, dass sicher auch die Gene eine Rolle dabei spielen, ob man konkurrenzfähig ist.
    LEE Ja, natürlich. Doch damit würde man, versteht sich, große Aufregung auslösen. Alle libertär Denkenden würden sagen, man sei elitär.
    SCHMIDT Ich will meine Aussage präzisieren und nehme als Beispiel das unterschiedliche wirtschaftliche Verhalten der Polen und der Russen. Polen ist ein Land mit knapp 40 Millionen Einwohnern, Russland eines mit 120 Millionen. Polen erholt sich ziemlich schnell und baut heute eine Mittelschicht auf, Russland tut das sehr langsam. Die Gene dürften mehr oder weniger die gleichen sein, aber die Polen packen es anders an.
    LEE Ich glaube, dass die russischen Gene genauso gut sind wie die der Polen, denken Sie an ihre Komponisten, Schachweltmeister, Schriftsteller; die Russen sind ein sehr talentiertes Volk. Aber ihre Gesellschaftsstruktur, ihre Regierungsform ist so, dass das Land seine Kräfte nicht vereinen kann. Der russischen Kultur fehlt etwas, so dass die Russen trotz herausragender Künstler wie Tolstoi, Dostojewski, Strawinsky, trotz großer Dirigenten und so weiter nicht in der Lage sind, ihre Kräfte als Volk zu

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