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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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bündeln.
    SCHMIDT Ich stimme Ihnen zu. Aber vergessen Sie nicht: Die Oberschicht ist immer noch kommunistisch, das bedeutet, sie denken planwirtschaftlich. Die Russen hinken ökonomisch immer noch hinterher. Das Einzige, worin sie sich auszeichnen, ist die Rüstung.
    LEE Sie halten sich selbst nun einmal für eine einzigartige Nation. Elf Zeitzonen, die größte Landmasse quer durch Europa und Asien. Unbesiegbar und von unerschöpflicher Stärke. Aber ihnen fehlt etwas, was eine kraftvolle, blühende Gesellschaft schafft. Sie verkaufen weiterhin Gas, Öl und Bodenschätze, und deshalb geht es Putins Russland gut, weil die Öl- und Gaspreise hoch sind.
    SCHMIDT Und hoch bleiben werden.
    LEE Also machen sie weiter.
    SCHMIDT Ja. Was aber in gewisser Weise eine Schwäche darstellt.
    LEE Was in gewisser Weise zu Frieden und Stabilität in Europa beiträgt. Denn wenn sie ihre Kräfte bündeln würden, könnten sie, selbst ohne die Völker der alten Sowjetunion, ohne Kasachstan und all die Kaukasusvölker, Europa leicht verschlingen.
    SCHMIDT Aber niemand hat heute Angst vor Russland.
    LEE So ist es.
    SCHMIDT Und die NATO sucht nach einem neuen Feind.
    LEE Die Amerikaner versuchen mir klarzumachen: Hören Sie, Sie drücken sich vor der Verantwortung, wenn Sie nicht genug für die Rüstung ausgeben. Sie hängen bei der Verteidigung von uns, den Amerikanern, ab.
    SCHMIDT Vermutlich brauchen Sie Amerika hier in Ostasien im 21. Jahrhundert mehr als wir in Europa.
    LEE Das könnte stimmen. Aber wenn eine Wende der Ereignisse eintritt, die zu einer Wiederbelebung Russlands führt, gerät Europa in Schwierigkeiten.
    SCHMIDT Dem stimme ich zu. Aber ich halte es nicht für sehr wahrscheinlich, dass dies geschieht. Es ist sogar ziemlich unwahrscheinlich.

Deng, seit dem Tod Maos der starke Mann Chinas, begrüßt Schmidt 1988 in der Halle des Volkes.
    © Archiv Helmut Schmidt

MATTHIAS NASS Seit einiger Zeit ist viel von einer »globalen Machtverschiebung« vom Atlantik zum Pazifik die Rede. Präsident Obama hat diese Wendung nach Asien und zum Pazifik gewissermaßen zur offiziellen Außenpolitik der USA gemacht. Ist der Pazifik der Ozean der Zukunft?
    LEE Nein, ich glaube, man sollte es anders sehen. Ich denke, aus amerikanischer Sicht ist Europa heute relativ sicher. Das Problem der Amerikaner wird China sein. Was also bedeutet diese Wendung? Sie bedeutet, dass die Amerikaner ihre Wirtschaftsinvestitionen und militärischen Aktivitäten im Pazifik konzentrieren müssen. Sie bedeutet keine Verschiebung der globalen Machtverhältnisse. Sie bedeutet eine Verschiebung der amerikanischen Perspektive, weil Amerika eine neue Bedrohung seiner Vorherrschaft sieht.
    SCHMIDT Ja. Aber ihre Vorherrschaft wird nicht mehr so groß sein wie am Ende des 19. und im 20. Jahrhundert. Sie wird schrittweise abnehmen, und China wird schrittweise stärker werden. Und Russland wird sich schrittweise nicht verändern.
    LEE (lacht) Letzterem stimme ich zu. Ich stimme auch zu, dass China stärker werden wird, aber ich glaube nicht, dass es dominant genug werden kann, um den Pazifik zu kontrollieren.
    SCHMIDT Das wird lange Zeit brauchen, mehr als ein Jahrhundert.
    LEE Es ist nicht möglich.
    SCHMIDT Ich bin nicht sicher, ob es eines fernen Tages nicht doch möglich sein wird. Ich denke an den berühmten Admiral Zheng He. Damals hätten die Chinesen leicht die Herren des Pazifiks werden können.
    LEE Ich bleibe dabei: Nach meiner Überzeugung besitzen die Chinesen nicht das Selbstvertrauen, sich nach Übersee auszudehnen. Sie sind eine Kontinentalmacht, und sie dehnen sich eher auf dem Kontinent aus. In ihren Augen sind Überseebesitzungen nur eine Ablenkung und Talentverschwendung.
    SCHMIDT In vieler Hinsicht sind die Chinesen ein sehr weises Volk.
    LEE Sie hätten Australien und Neuseeland und viele andere spärlich besiedelte Gebiete leicht bevölkern können.
    SCHMIDT Ihre Nachfahren würden dann als Kängurus enden.
    LEE (lacht) Nein, ihre Nachfahren werden wie die Amerikaner enden und ihre Vorherrschaft gefährden.
    SCHMIDT Was endet, ist die Vorherrschaft der WASP s in Amerika, die Vorherrschaft der Weißen mit angelsächsisch-protestantischem Hintergrund. Die alte Ostküstenelite ist völlig verschwunden.
    LEE Das ist überhaupt nicht tragisch, denn das Land ist groß genug; es hat eine Elite an der Ostküste, eine Elite in der Mitte – die Mitte reicht von Chicago bis hinunter nach Austin, Texas – und eine Elite an der Westküste.
    SCHMIDT Mehr als

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