Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
Kulturrevolution vor Augen hält, dann grenzt der ökonomische Wiederaufstieg des Landes an ein Wunder. Niemand im Westen hat noch zu Zeiten von Tiananmen einen solchen Aufstieg vorausgesehen.
Zwar hatten die Vereinten Nationen 1971 die Volksrepublik China als alleinige rechtmäßige Vertretung Chinas anerkannt und die taiwanesische Regierung in Taipeh gezwungen, den ständigen Sitz im Sicherheitsrat an Peking abzutreten. Zwar haben die Amerikaner die Volksrepublik China 1979 anerkannt (bei gleichzeitiger Bewahrung des Sonderstatus von Taipeh). Viel wichtiger für die Bedeutung des Landes ist jedoch der Umstand, dass China heute eine ökonomische Weltmacht ist, deren Währungsreserven sich auf über 3000 Milliarden Dollar belaufen – was in der Weltgeschichte ohne Beispiel ist.
Friede und Stabilität in Ostasien werden heute vom Machtgleichgewicht zwischen Amerika und China aufrechterhalten. In Ost- und Südostasien breiten sich Sorgen vor China aus. Der Streit um mehrere kleine Inselgruppen trägt in ähnlicher Weise zur Beunruhigung bei wie vor Jahren der Streit um Taiwan. Dazu kommt sowohl in Japan als auch in China ein Wiederauferstehen nationalistischer Tendenzen. Dabei ist der ökonomisch absolut erfolglose Staat Nordkorea, auf den die Chinesen herabblicken, zugleich Chinas Schutzwall gegen Japan, vor allem aber gegen die amerikanische Präsenz auf dem asiatischen Festland; Peking fürchtet, dass der Einfluss Washingtons im Falle einer Wiedervereinigung Koreas bis an die Grenze zu China reichen würde.
Neben diesen für China mit hohem Prestige verbundenen außenpolitischen Fragen darf allerdings nicht übersehen werden, dass die eigentlichen Probleme des Landes im Innern liegen. Die Bevölkerungszahl steigt weiter, wenn auch nicht ganz so schnell wie in großen Teilen Asiens. Aber noch vor der Mitte des 21. Jahrhunderts wird China 1,5 Milliarden Menschen zählen, und die Mehrheit von ihnen wird auch dann wahrscheinlich noch in ländlichen Verhältnissen leben. Das Bevölkerungswachstum wird sich also trotz der von Mao eingeleiteten Ein-Kind-Politik fortsetzen. Weil die produktiven Jahrgänge aufgrund der Ein-Kind-Politik ausgedünnt sind, ergeben sich große Schwierigkeiten beim Aufbau einer umfassenden nationalen Altersversorgung.
Ein zweites großes Problem betrifft die enormen Unterschiede im Lebensstandard, die sich im Laufe der letzten 25 Jahre zwischen den Küstenprovinzen und dem Landesinneren, insbesondere in Zentralchina, Tibet und Xinjiang, herausgebildet haben. Die Spannungen zwischen Arm und Reich sind unübersehbar. Weite Teile des Landes leiden unter mangelnder Infrastruktur, es fehlt dort noch immer an Eisenbahnen und Autostraßen. Weil die Menschen in ihren Dörfern nicht mehr gebraucht werden, zieht es sie in die aufstrebenden Provinzen entlang der Küste, wo sie Arbeit zu finden hoffen.
Heute gibt es zwischen hundert und zweihundert Millionen so genannte Wanderarbeiter – die Schätzungen schwanken. Diese Wanderarbeiter kommen bestenfalls bei Verwandten unter, ansonsten schlafen sie auf den Baustellen. Sie werden ausgebeutet, haben kaum Rechtsschutz und keine Alterssicherung. Das sorgt für erhebliche soziale Spannungen, und das Problem ist der chinesischen Führung voll bewusst.
Auf der anderen Seite sind diese Wanderarbeiter nicht nur eine große Belastung für die Städte, sondern in ihnen stecken auch enorme Reserven für China. Es muss das Ziel der chinesischen Führung sein, die in der Landwirtschaft überflüssig gewordenen Arbeitskräfte in andere Beschäftigungen zu bringen. Die Entstehung von riesenhaften Großstädten (vier Städte von jeweils 40 Millionen sind geplant!) schafft zusätzliche psychologische Probleme, die sich aus den Bedingungen einer Massengesellschaft ergeben.
Mit der Industrialisierung Chinas sind zwei weitere Probleme entstanden. Zum einen ist China in hohem Maße angewiesen auf den Import von Rohstoffen, insbesondere auch von Öl und Gas. Zum anderen sind die Umweltprobleme – man denke an den ewigen Smog über Peking und anderen Städten – ungelöst.
Die sozialen Konflikte, die sich aus den hier skizzierten Entwicklungen ergeben, könnten die ökonomische Stabilität Chinas durchaus gefährden. Insgesamt scheint mir die innenpolitische Situation des Landes jedoch erstaunlich stabil. Die vielen tausend Demonstrationen, die es in China Jahr für Jahr gibt und die von der Regierung auch publizistisch nicht unterdrückt werden, richten sich gegen
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