Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
hat Folgen für alle Dorfbewohner. In Asien wirkt es sich heute am stärksten auf diejenigen aus, die in den Küstenprovinzen in China und in den Großstädten in Indien oder in deren Nähe leben. Aber es wird mit der Zeit das ganze Land erfassen. Oder schauen Sie nach Afrika. Heute informieren sich die Afrikaner mit dem Smartphone über den Maispreis, und da sie so immer den aktuellen Marktpreis kennen, können die Zwischenhändler nicht mehr so hohe Aufschläge verlangen. Das Umfeld, in dem sich die Menschen bewegen und verhalten, verändert sich also durch zeitgleiche Information und schnelle Kommunikation. Von Frankfurt nach Singapur sind es zwölf Stunden, die Concorde flog mit Überschallgeschwindigkeit zwischen London und Singapur – Frühstück in London, Abendessen in Singapur. Der Überschallknall hat den kommerziellen Erfolg der Concorde verhindert, aber eines Tages wird es ballistische Raketen geben, die ohne Überschallknall aufsteigen und landen werden. Von Frankfurt nach Singapur braucht man dann möglicherweise nur noch eine oder anderthalb Stunden. Ich würde das nicht ausschließen. Nicht zu meiner Lebenszeit, aber in hundert Jahren, denke ich, wird es so sein. Man schickt bereits Menschen ins All. Warum sollten eines Tages nicht Massen im Orbit von einer Stadt in die andere transportiert werden? Eine der größten Veränderungen wird die Vermischung der Völker sein. In Europa wird sie bestimmt durch den Einwanderungsdruck aus Afrika und zum Teil aus der arabischen Welt. Diese Menschen suchen ein besseres Leben. Die Bevölkerung in Europa schrumpft, Europa braucht Arbeiter. Die Franzosen mögen die Algerier nicht, sie mögen die Schwarzafrikaner nicht, aber sie brauchen sie, weil sie sich nicht schnell genug vermehren. Nach meiner Ansicht wird die Vermischung der Völker in den nächsten Jahrzehnten eines der größten Probleme sein. Sie findet zwangsläufig statt, aber achtet man sich auch gegenseitig? Das ist das Problem. Hier in Asien haben wir verschiedene Rassen. Für Sie sehen wir alle gleich aus, aber wir sind nicht gleich. Mischehen zwischen Chinesen und Indern, Indern und Malaien oder Malaien und Chinesen sind selten, weil die Rasse ein mächtiger Faktor ist. Ich meine nicht die Nationalität, sondern die physische Erscheinung. Es gibt die gelben Rassen – Chinesen, Koreaner, Japaner, Vietnamesen –, es gibt die Inder, die Afrikaner, die Europäer, einschließlich der Russen. Im russischen Fernen Osten gibt es eine gemischte Bevölkerung, der Raum dort ist spärlich besiedelt, deshalb gibt es viele Mischehen. Aber weltweit wird es ein großes Problem werden.
SCHMIDT Was ich mir wünsche, sind vor allem Tugenden. Vorausschicken will ich, dass ich hoffe, dass Deutschland als einer von zwölf oder fünfzehn Staaten in die Europäische Union hineinwächst. Vor diesem Hintergrund hoffe ich, dass die Deutschen in ihren eigenen Grenzen erstens die Freiheit des Einzelnen bewahren werden; dass sie, zweitens, in ihren eigenen Grenzen die Gerechtigkeit bewahren werden; dass sie, drittens, die Solidarität in der Gesellschaft bewahren werden, insbesondere mit Blick auf die zunehmende Zahl alter Menschen; viertens ist es notwendig, den Frieden zu bewahren. Und fünftens wünsche ich mir politische Führer, die nicht für ihre guten Absichten verantwortlich sind, sondern für das, was sie tatsächlich bewirken. Verantwortung, das ist der letzte Punkt.
LEE Aber sind Sie bereit, die Türken als Deutsche anzuerkennen?
SCHMIDT Nein, ich bin auch gegen das Schlagwort des Multikulturalismus. Stattdessen plädiere ich dafür, die rund 3 Millionen Türken, die heute in Deutschland leben, rechtlich voll in Deutschland zu integrieren. Ob sie sich auch kulturell integrieren wollen, das möchte ich ihnen und ihren Kindern und Enkelkindern überlassen. Aber die Kultur der türkischen Nation und ihre Lebensgewohnheiten unterscheiden sich stark von den deutschen. Und die Deutschen machen es leider den Türken nicht leicht. Es dauert mehr als eine volle Generation.
LEE Deshalb ist die Vermischung der Völker ein Problem für die Welt. Denn Auswanderung wird weiterhin stattfinden, aber an der Anerkennung der Einwanderer wird es fehlen.
SCHMIDT Ich vermute, die Europäer neigen dazu, lieber zu schrumpfen, als eine große Einwanderung zuzulassen.
LEE In Deutschland haben Sie schon die Türken, und ihre Zahl nimmt zu. Auch die zweite Generation reproduziert sich schneller als die Deutschen.
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