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Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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will wissen, worüber wir uns drei Tage lang unterhalten haben. Also werden wir ihnen sagen, dass wir unsere Ansichten über ein breites Spektrum von Fragen ausgetauscht haben.
    SCHMIDT Aber wir werden ihnen nicht alles sagen, Harry.
    LEE Ganz bestimmt nicht.

Helmut Schmidt und Lee Kuan Yew am Ende ihres Gesprächs im Mai 2012 in Singapur.
    © Picture Press/Louis Kwok

MATTHIAS NASS
    Vier Freunde
    Helmut Schmidt, Henry Kissinger,
George Shultz und Lee Kuan Yew
    Über die Freundschaft, das Alter
und das Abschiednehmen

Einst waren sie mächtig. Gefürchtet. Von vielen bewundert, bei manchen verhasst. Jetzt neigt sich ihr Leben dem Ende zu. Doch es gibt noch eine Geschichte zu erzählen, die Geschichte einer Freundschaft. Von vier Männern ist zu erzählen, die man sich nüchterner nicht denken kann. Helmut Schmidt, Lee Kuan Yew, Henry Kissinger und George Shultz: kühle, bisweilen kalte Machtmenschen. Aber seit mehr als vierzig Jahren sind sie einander eng, fast innig verbunden. Nun nehmen sie langsam Abschied voneinander.
    Singapur, Anfang Mai, Konferenzraum »White Magnolia« im Shangri-La Hotel. Einmal noch wollte Helmut Schmidt sich mit Lee Kuan Yew treffen, dem Gründungspremier der asiatischen Metropole. Seit Langem hat er sich auf nichts so sehr gefreut wie auf diese Reise zu »Harry«, wie Lee Kuan Yew seit den Studententagen im englischen Cambridge bei seinen Freunden heißt. Von Singapur aus wird er für fünf Tage nach China weiterreisen, auch das ein lang gehegter Wunsch.
    Schmidt ist 93 Jahre alt. Wer nimmt da noch einen fünfzehn Stunden währenden Flug vom kühlen Hamburg ins tropisch-schwüle Singapur auf sich? Im März haben ihm die Ärzte grünes Licht gegeben: Die Thrombose, die ihn plagt, verhindere den langen Flug nicht.
    Lee, 89 Jahre alt, hat ihm geschrieben, wie froh ihn dieser Besuch mache. Auch, dass der Freund nach der Ankunft Ruhe brauchen werde, wenigstens eine Nacht lang, um den Jetlag zu überwinden. Am Abend darauf werde er ihm ein Essen geben.
    Danach will man sich drei Nachmittage lang zusammensetzen, miteinander sprechen. Über China, Amerika, Europa – das große Ganze, so wie sie es immer gehalten haben. Ein Buch soll daraus werden, ein Gesprächsband über den Zustand der Welt. Darunter machen es die beiden nicht.
    Und dann beginnt das Gespräch ganz zart. »Meine Frau ist im Alter von 91 Jahren von mir gegangen«, sagt Helmut Schmidt. »Loki ist mit 91 gestorben?« – »Ja, es war ein großer Verlust. Muss Ihnen auch so gehen.« – »Ja, es reißt eine tiefe Lücke in unser Leben, nichts kann sie füllen.«
    Drei Wochen vor Loki Schmidt, Anfang Oktober 2010, ist Lee Kuan Yews Frau Choo gestorben. Als Studenten in Cambridge ragten die beiden Lees intellektuell heraus. Vor Ehrgeiz brennend, kehrten sie nach Singapur zurück. Dort errichtete Lee Kuan Yew eine Erziehungsdiktatur, die, bei allen Erfolgen, zum Fürchten war. Lee konnte gnadenlos sein. Er verfolgte politische Opponenten, trieb sie mit Prozessen in den finanziellen Ruin, knebelte die Presse. Aber als seine schwer kranke Frau am Ende ihres Lebens mehr als zwei Jahre lang sprech- und bewegungsunfähig im Bett lag, hat er sich jeden Abend zu ihr gesetzt und ihr vorgelesen. Sie sollte in Frieden sterben.
    64 Jahre lang waren die beiden verheiratet. »Bei uns waren es 68«, sagt Schmidt. »Wir hatten gehofft, siebzig Jahre zusammenbleiben zu können«, sagt er. »Yeah«, seufzt Lee mit belegter Stimme. »Yeah.«
    Schmidt sitzt in seinem Rollstuhl zur Rechten Lees, er hört nur auf seinem linken Ohr. Lee sitzt sehr aufrecht. Er trägt eine dunkelblaue chinesische Seidenjacke; mit seinem fast kahlen Schädel wirkt er wie ein unnahbarer Pekinger Mandarin. Er formuliert druckreif, in einem nuancenreichen Oxford-Englisch. Vor ihm steht ein Glas heißes Wasser, aber während des ganzen Gesprächs trinkt er keinen einzigen Schluck.
    Schmidt darf nicht rauchen, stundenlang nicht, für ihn eine Tortur. Lee, ehemals selbst starker Raucher, ist mittlerweile gegen Zigarettenqualm allergisch. Einmal, gedankenverloren, greift Schmidt in seine linke Sakkotasche, zieht die Zigarettenschachtel hervor, zündet sich eine Reyno an. Lee erstarrt, sagt nichts, sieht Schmidt nur an. Der erschrickt: Wo ist der Aschenbecher? Es gibt keinen. Er zögert, versenkt die Reyno dann mit Schwung in einer tiefen Kaffeetasse. Große Heiterkeit!
    »Für mich ist dies eine Sentimental Journey«, nimmt Helmut Schmidt den Faden wieder auf. Er sei 1958 oder

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