Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
bisschen Stil und treffen sich im Weißen Haus? Wir gingen also in die Bibliothek des Weißen Hauses – ein wunderschöner Raum. Gutes Essen! Und es hat funktioniert. Wir trafen uns wieder, wir konnten uns am Telefon austauschen, zwischen uns entwickelte sich Vertrauen. Irgendjemand hat dann vorgeschlagen, unseren Kreis die ›Library Group‹ zu nennen.« Es sollte mehr daraus werden. Bei den Treffen in der Bibliothek des Weißen Hauses wurde die Idee der G7-Gipfel geboren.
Natürlich waren Kissinger und Shultz einander schon viel länger ein Begriff. Beide hatten an der Universität Karriere gemacht, Kissinger in Harvard, Shultz ein paar Kilometer weiter am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Historiker und Politikwissenschaftler der eine, Ökonom der andere. »Ich kannte ihn nicht persönlich«, erzählt Shultz, »aber ich wusste von ihm. Denn das, was er sagte, fand große Öffentlichkeit.«
Richard Nixon brachte die beiden zusammen. Kissinger wurde der Nationale Sicherheitsberater des Präsidenten, später Außenminister. Shultz erst Arbeits- und dann Finanzminister. Waren Sie jemals Rivalen? »Nein«, sagt Shultz. Man habe einander ergänzt. Er habe beispielsweise eine wirtschaftliche Studie über Amerikas Abhängigkeit von Ölimporten vorgelegt, Kissinger habe über die strategischen Implikationen nachgedacht.
Auch nach der gemeinsamen Zeit unter Nixon blieben sie einander verbunden. Als Shultz selbst Außenminister wurde, suchte er den Rat des Freundes und Vorgängers. Im hohen Alter haben die beiden Republikaner ihre Autorität einer erstaunlichen atomaren Abrüstungsinitiative geliehen: »Global Zero« – Abrüstung auf Null!
Wobei Helmut Schmidt durchaus Unterschiede zwischen den beiden sieht. »Shultz ist überzeugt von der Notwendigkeit der nuklearen Abrüstung, Henry hat da Einschränkungen.« In Sachen Atom sei Kissinger »der Rationalste und der Realistischste. Er übertreibt den Realismus ein bisschen nach meinem Gefühl.« Und Schmidts eigene Sicht? »Fast ausschließlich auf Shultz’ Seite.«
Warum dieser verblüffende Schwenk der ehemaligen Nuklearstrategen in der Atompolitik? »Es war kein Schwenk«, meint Schmidt, »es war eine langsame Entwicklung. Ich habe die nukleare Aufrüstung immer für übertrieben gehalten.«
Und doch: Der Sinneswandel ist kaum zu bestreiten. Und es gibt dafür gute Gründe. Die Kalten Krieger von einst hatten begriffen, dass ein »Gleichgewicht des Schreckens« wohl nur zwischen den hochgezüchteten Militärapparaten entwickelter Industrienationen funktionieren kann und dass auch deren kalte Zweckrationalität den Frieden nur mit viel Glück bewahrt hat. In Zeiten, da unberechenbare Staaten wie der Iran und Nordkorea oder gar Terrorgruppen nach der Bombe streben, könne man nicht mehr, meinen sie, auf die Stabilität gegenseitiger Abschreckung bauen.
Natürlich gibt es in politischen Fragen Differenzen zwischen den vieren. »Eine große Meinungsverschiedenheit: Ich halte, vielleicht anders als Lee und gewiss anders als Henry, den maritimen nuklearen Aufmarsch der Amerikaner gegenüber China für weit übertrieben«, sagt Schmidt.
China! Mit leidenschaftlichem Interesse verfolgt jeder der vier, wie das Reich der Mitte zu alter Größe aufsteigt. Natürlich hat Schmidt das neue Buch Kissingers »On China« gelesen. »Manches fehlt. Zu viel Kissinger, zu wenig China. Eigentlich könnte das Buch ›On Henry‹ heißen! Insgesamt aber enthält es großen Respekt gegenüber der chinesischen Zivilisation. Die Deutschen vertüdeln meistens Zivilisation und Kultur!«
Kissinger und Schmidt sind sich Ende der fünfziger Jahre erstmals begegnet, wo und wie genau, in Harvard oder im Hamburger Amerikahaus, ist zwischen den beiden umstritten. Kissinger erzählt gern, wie er Schmidt, der ihm als »aufstrebender Politiker« angekündigt wurde, vor dem ersten Treffen mit Carlo Schmid verwechselt habe, einem der Väter des Grundgesetzes. »Das war der wichtigere Deutsche, den ich kannte.«
Ein gutes halbes Jahrhundert ist seither vergangen, und nie ist das Gespräch zwischen den beiden abgerissen. Als sie noch im Amt waren, Schmidt Bundeskanzler, Kissinger Sicherheitsberater und Außenminister, sei man sich natürlich nicht immer einig gewesen, schildert Schmidt. Bei den Ost-West-Verhandlungen in den siebziger Jahren beispielsweise sei »Kissinger sehr viel skeptischer gegenüber der Helsinki-Schlusskonferenz als ich und auch als sein Chef, Jerry Ford« gewesen.
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