Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)
ausschließen, aber geplant ist das nicht.« Er sei entschlossen, keine großen Reisen mehr zu machen. »Innerhalb Europas, das ist was anderes. Oder nach Moskau, ist auch was anderes.«
Moskau also, das könnte ihn reizen? »Ja.« Ist das geplant? »Nein, geplant ist gar nichts.«
Wie ist das mit der Planung, wenn man alt wird?, fragen wir Henry Kissinger. »Du musst dich entscheiden. Was du tun kannst, ist begrenzt. Also tut man am besten Dinge, die wichtig sind und sich lohnen. In diesem Sinne ist jedes unserer Treffen etwas Besonderes.«
Natürlich sei es wichtig, sich zu sehen, sagt Kissinger noch, »aber wir müssen uns nichts mehr sagen. Es wird deshalb nichts unerfüllt bleiben. Dennoch wird der Verlust groß sein, wenn einer von uns geht.«
Das wache Interesse aneinander ist geblieben, die stete Wissbegier. George Shultz sagt: »Dann und wann schickt Helmut mir eine Rede, die er gehalten hat. Ich lese sie immer genau. Und lese sie dann noch einmal. Meistens sind Feinheiten darin, nach denen man suchen muss. Er ist ein vorsichtiger Denker. Aber er versteht es, groß zu denken. Die meisten Leute reden blühenden Unsinn, wenn sie groß denken. Wenn Helmut groß denkt, hat es Bedeutung.«
Also arbeiten sie weiter. Und verblüffen ihre Umwelt mit ihrer Präsenz und ihrer Schaffenskraft. An diesem warmen Maiabend in Berlin sitzen sie nebeneinander auf dem Podium im »Weltsaal« des Auswärtigen Amts: George Shultz, 91, Helmut Schmidt, 93, und Henry Kissinger, 89. Niemand im Saal, der sich dem anrührenden Moment entziehen kann.
Alle drei haben Geschichte geschrieben. Gelassen blicken sie in die Reihen vor ihnen: George Shultz, stolz aufgerichtet, mit blauem Hemd und blutroter Fliege; Henry Kissinger, in sich zusammengesunken, mit schweifendem Blick; dazwischen Helmut Schmidt im Rollstuhl, die Hände zigarettenlos im Schoß.
Sie sind sich ihrer Aura wohl bewusst und genießen sie mit der ironischen Distanz derer, die zu viel gesehen haben, um noch jedes Lob ernst zu nehmen. Und es doch immer wieder gern hören! Man kann dazu ja ein grimmiges Gesicht aufsetzen. Oder ein wenig knurren. Nichts entzückt die Leute mehr.
Schmidt, der die Laudatio auf den Preisträger Shultz hält, erinnert an Franklin Roosevelt, an Harry Truman, George Kennan, George Marshall, an Eisenhower und Kennedy. »George, du bist einer jener amerikanischen Führer, die Freundschaft mit den Deutschen begründet haben – nach zwei Weltkriegen, in denen wir Deutsche deine Feinde waren. Und dafür werde ich immer dein dankbarer Freund sein.«
Wichtiger als die Preisverleihung ist den dreien die kurze Zeit davor, das Beieinandersein in einem Nebenraum. Darauf haben sie sich wirklich gefreut. Deshalb sind sie angereist aus Hamburg, aus New York und aus San Francisco.
Und deshalb ist Helmut Schmidt noch einmal nach Singapur geflogen. «Dies ist mein letzter Besuch in diesem Teil der Welt«, sagt er am Ende des dritten Tages. »Alles Gute für Sie, Harry.« – »Auch für Sie«, antwortet Lee Kuan Yew, und seine Stimme ist rau. »Es ist eine Ehre, Sie zu kennen.« Sie beugen sich zueinander und nehmen sich in den Arm. Ganz vorsichtig.
Einen Moment ist es still im Raum. Dann ruft Schmidt nach seinen Leibwächtern. »Rollt mich hier raus!«
ANHANG
Dokumentation
eines Gesprächs zwischen
Helmut Schmidt und Deng Xiaoping
im Mai 1990 in Peking
Am 21. Mai 1990 kam es in Peking zu einem Treffen zwischen Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt und Deng Xiaoping, der die Politik der Volksrepublik China seit den späten siebziger Jahren führte. Ein knappes Jahr zuvor hatte die blutige Niederschlagung der Studentenproteste auf dem »Platz des Himmlischen Friedens« die Welt in Atem gehalten. Über dieses Treffen schrieb Helmut Schmidt rückblickend:
»Im Juni 1989 hatte die Tragödie am Tiananmen-Platz in Peking – und eine übertreibende westliche Medien-Berichterstattung! – im Westen der Welt große Empörung ausgelöst. Besuche und Gespräche wurden abgesagt, man verhängte ein Waffenlieferungsembargo gegen China. Es bestand die Gefahr, dass sich daraus ein kalter Krieg gegen das kommunistische China entwickelte. Um einen eigenen Eindruck von der Situation zu gewinnen, flog ich 1990 nach Peking und sprach dort sowohl mit chinesischen Amtsträgern als auch mit Privatleuten, ebenso mit dort tätigen westlichen Diplomaten, Geschäftsleuten und Journalisten. Die Lage erschien mir prekär, aber nicht aussichtslos. Jedenfalls konnte nach meinem Urteil
Weitere Kostenlose Bücher