Ein letzter Brief von dir (German Edition)
Anthea und verkleinerte sie, bis es ihr gelang, sie zu verbannen.
Marek schwieg.
Ziemlich laut.
Orla empfand Vergnügen dabei, in die eisigen Außenbereiche von Mareks Bett zu kriechen, dort für einen Moment zu zittern und sich dann wieder zu ihm zurückzuschieben, ihre Extremitäten um ihn zu schlingen und die Wärme zu spüren, die er ausstrahlte. Marek schien ihre Tendenz, ihn als Klettergerüst zu benutzen, nicht zu stören. Nackt hatten sie einen Schlussstrich unter die grottenschlechte Stimmung gezogen, die bis zum Ins-Bett-Gehen zwischen ihnen geherrscht hatte.
Jetzt bewegte sich Marek im Schlaf, murmelte etwas. Zwischen Wachen und Träumen wurde Orla vor Wohlbehagen neben ihm ganz kribbelig. Ungeordnet kamen ihr Gedankenfetzen in den Sinn, Junos eigenartig defensive Haltung, dass sie selbst eine neue Tasche brauchte, ob sie zum Frühstück Porridge kochen sollte. Und dann tauchte in ihrem verschlafenen Kopf Maude auf.
Ich mache mit Maude was Nettes, wenn Marek weg ist
, beschloss sie.
Vielleicht gehen wir schön essen?
Orlas schläfriges Bewusstsein stieß auf etwas, das ihr bei klarem Kopf verborgen geblieben war. Die Erkenntnis raste eine Spur aus Brotkrumen entlang, und als sie Orla erreichte, saß sie plötzlich kerzengerade im Bett.
«
Kochanie, jestes
okay?» Marek setzte sich ebenfalls auf, aber seine Wirbelsäule war noch müde, deshalb ließ er sich wieder in die Kissen fallen und zog sie mit sich. Mit dem Kopf auf ihrer Schulter schlief er wieder ein. Seine Haare kitzelten ihren Hals, und Orla brannte mit den Augen Löcher in die Decke.
Es war offensichtlich, schalt sie sich selbst. Verdammt offensichtlich.
«Orla? Hier ist Ma. Kannst du sprechen?»
«Ma, wie geht’s? Offen gestanden, bin ich gerade …»
«Hör mal, es ist ein Mord passiert! Ein echter Mord in Tobercree!»
«Nein! Und wer ist ermordet worden?»
«Na ja, tot ist keiner. Der Mann, der fürs Elektrizitätswerk …»
«Wenn keiner tot ist, dann ist es kein Mord, Ma.»
«Verdirb mir doch nicht die ganze Geschichte!»
«Ma, können wir ein andermal reden? Ich wollte gerade …»
«Der Dummkopf, der über der Pommes-Bude wohnt,
hilft der Polizei bei ihren Ermittlungen
. Das ist das Beste, was in Tobercree
jemals
passiert ist!»
«Ma, ich habe wirklich ein paar wichtige Dinge zu erledigen, also …»
«Was ist denn so wichtig, junges Fräulein, dass keine Zeit bleibt für ein kurzes Gespräch mit deiner Mutter?»
«Entschuldige, Ma. Ma?»
«Ja, Mäuschen?»
«War ich als Kind ein Angsthase?»
«Du warst hinreißend. Das pflegeleichteste Kind in der Rasselbande. Nie Theater gemacht. Ein Sonnenschein.»
«Aber bin ich vor Dingen weggelaufen? War ich ein Feigling?»
«Machst du Witze? Du warst meine kleine Tigerin.»
«Genauso hat Juno mich genannt.»
«Wenn du im Recht warst, hast du dich mit jedem angelegt.»
«Aha. Hör mal, Ma, ich muss jetzt wirklich los.»
Orla beendete das Gespräch mit ihrer sprudelnden Mutter und rannte hinaus in den Flur, um Maude nach Ladenschluss auf dem Weg in den obersten Stock abzupassen. «Hast du kurz Zeit? Es ist wichtig.»
«Natürlich», sagte Maude sofort. Sie ging vor Orla her in die Wohnung, und in ihrem Dutt hing Lametta. Heute war die Weihnachtsdekoration aufgehängt worden. Eine Landkarte aus Falten unter Maudes Augen verriet ihr Alter, wie ihr klarer blauer Blick es nie tun würde. «Stimmt was nicht, Liebes?»
«Nein, nein. Jedenfalls nicht bei mir. Also, nicht weniger als sonst auch.» Orlas unbeschwertes Lächeln geriet zur Grimasse, und Maude zuckte zurück, bevor sie sich an dem quadratischen Küchentisch niederließen.
«Dann erzähl mal.»
«Ich wollte dich etwas fragen.» Orla zwang sich, sitzen zu bleiben. Ihre Beine wären gern auf und ab gegangen, aber sie musste sich beherrschen, das hier kleinhalten. «Wobei das nicht ganz stimmt, weil ich die Antwort schon kenne. Ich habe nachgedacht, ein bisschen recherchiert, und ich weiß jetzt, Maude, dass du unter Agoraphobie leidest. Du hast Angst vor weiten Räumen.»
Maude erstarrte. Sie presste lediglich ihre Lippen zusammen, sodass ein strahlenförmiges Netz von Fältchen um ihre Mundwinkel entstand.
Orla sprach weiter. «Seit ich vor zehn Monaten in London angekommen bin, warst du nicht einmal vor der Tür. Deine Lebensmittel lässt du dir liefern. Du kaufst online ein. Du verlierst deine gute Laune – deine
wunderbare
Laune –», Orla hoffte, Maudes starre Miene wieder weicher werden zu
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