Ein letzter Brief von dir (German Edition)
gegen einen Sog an, den sie nicht verstand, den Sog, Antheas Haus zu beobachten, auch wenn Anthea gar nicht dort war.
Und nun war Marek hier, um sie vor sich selbst zu retten.
Eine Gruppe von Studenten scharte sich zusammen. Abena richtete sich auf und versuchte, sich normal zu benehmen, als Orlas Absätze durch die Eingangshalle klapperten. Ihre Schülerin zeigte auf eine Tür mit dem Schild «Verwaltung», hinter der ein Mann auf einem Bürostuhl lungerte und ihr entgegensah. Er stand auf, zog an seinem Kragen und schüttelte seine Schultern in Positur.
«Oh, hi.» Orlas Begrüßung schwebte im Niemandsland zwischen freundlich und unfreundlich.
«Zeit für einen Kaffee?»
«Klar.» Orla warf Abenas Clique einen missbilligenden Blick zu, aber die Kussgeräusche wurden nur noch lauter und folgten ihr und Reece aus dem Gebäude.
In dem familiengeführten italienischen Café, in dem Kaffeegenuss ernst genommen und den ganzen Tag über mit frischem Oregano garniertes Frühstück serviert wurde, taute Orla etwas auf.
«Du und ich hatten eine Abmachung», sagte Reece traurig und missbilligend. «Wir bleiben Freunde, haben wir gesagt. Bleiben in Verbindung. Aber du gehst nie ans Telefon, wenn ich dich anrufe. Und du rufst auch nie zurück.»
«Ich war beschäftigt.» Orla wartete einen Moment, nippte am Kaffee. Er war sehr heiß und sehr stark. «Und ich treffe mich mit jemandem.»
«Marek? Ist es …» Reece suchte nach einem Ausdruck, der für sie akzeptabel wäre. «Was Ernstes?»
«Könnte sein. Es ist schön. Er ist nett.» Marek würde, so hoffte sie, ein solches Understatement belächeln. Marek wusste, was sie für ihn empfand … oder?
«Das ist so toll.» Reece lächelte duldsam. «Du hast es verdient.»
Orla wollte das nicht mit Reece besprechen. Die Scheuklappen waren ihr von den Augen gefallen – oder gerissen worden. «Häng es nicht zu hoch. Ich bin nicht verliebt.»
Irgendwo fiel eine Fee tot vom Himmel. Es war unnötig gewesen, das zu sagen.
«Nächste Woche ist es zehn Monate her.» Reece drehte seine Tasse ohne Unterlass auf der Untertasse.
«Ich weiß.» Orla wusste immer, wann der vierzehnte war. «Lange zehn Monate.»
«Eine Ewigkeit», pflichtete ihr Reece bei.
Sie saßen eine Weile still da, kameradschaftlich, aber jeder in seine eigenen Gedanken versunken.
Reece beugte sich hinunter und zog etwas aus seiner Tasche. Was er sagte, klang unpersönlich, einstudiert. «Wirf bitte mal einen Blick auf dieses Foto, Orla.»
Er beobachtete, wie Orla sich über den Din-A 4 -Ausdruck lehnte. In körnigem Schwarz-Weiß füllte eine verschwommene Gestalt beinahe die ganze Seite aus. «Das ist von Ants Überwachungskamera aufgenommen worden. Es hat sie sehr erschreckt. Ich habe es Ant nicht gesagt, aber ich dachte gleich, das sieht ein bisschen nach dir aus.» Orla nahm das Bild in Augenschein. «Aber das kannst nicht du sein, oder?»
Orla starrte sich an, wie sie durchnässt, mit hängenden Schultern und Zombie-Augen in der gespenstischen Farbpalette einer Nachtkamera aufgenommen worden war. «Nein», sagte Orla langsam, lehnte sich zurück und blickte Reece direkt an. «Das kann nicht ich sein.»
Keine wirkliche Lüge. Orla erkannte die trostlose Frau auf dem Bild kaum wieder.
«Gut», sagte Reece bedächtig und zerknüllte den Ausdruck. «Wenn du es nämlich wärst, würde ich mir Sorgen machen.»
Schlau, wie er seine Warnung mit Fürsorge verband.
Kapitel fünfundzwanzig
H allo, ich bin’s! Wie ist Whitstable? Ich habe nachgesehen, nachdem du mir von dem Ausflug erzählt hast. Wusstest du, dass Dracula bei seiner Reise aus Transsylvanien dort in England angekommen ist? Na ja, natürlich wusstest du das. Du bist die Schlaue von uns beiden. Schätze, du bist mit deinen Studenten beschäftigt oder wie immer du sie nennst. Ruf mich mal zurück, wenn du nach Hause kommst, ja? Ich will dir was sagen. Und ich will nicht, dass du über mich urteilst, Orla, okay? Tschüs. Oh, und Vorsicht bei Fremden in schwarzen Umhängen.»
«Das ist schön», murmelte Marek auf eine Weise, die sie liebte, er bewegte dabei kaum die Lippen, als könne er vor Wonne nicht sprechen.
Orla schmiegte sich mit schweren Gliedern auf dem Sofa an ihn, lehnte ihren Kopf an seine Schulter und stimmte zu. Der Film war beinahe vorbei, und sie fürchtete sich davor, sich bewegen zu müssen. Die Position, die sie gefunden hatten, war genauso perfekt wie die Position, die sie immer im Bett fanden, kurz bevor der
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