Ein letzter Brief von dir (German Edition)
vom College.»
«Es ist gut dort. Eigentlich ist es sogar großartig. Meine Lieblinge sind ein wahnsinnig süßes Mädchen aus Russland und ein tolles afrikanisches Mädchen, Abena, die ich richtig gerne mag. Sie stellt bestechend schlaue Fragen. Aber ich habe keine Ahnung, warum der japanische Typ in meinem Unterricht sitzt. Er spricht besseres Englisch als ich.»
«Bring ihm bei, verdammt und Trottel zu sagen. Gott, Orla, wenn Sim noch leben würde, würde ich ihn umbringen.»
«Ich war so froh», sagte Orla und küsste Reece auf die Wange, «als ich deine SMS bekommen habe. Es war so ein furchtbarer Morgen. Du bist genau das, was der Arzt verschreiben würde, wenn er sein Geschäft verstünde.»
Sie ließ sich auf einen plüschigen Sessel aus dem 19 . Jahrhundert nieder. Er war fleckig und durchgesessen und wirkte beinahe überrascht, sich plötzlich in einer schäbigen Weinbar in Hammersmith wiederzufinden. «Aber was führt dich in diese Gegend? Ich dachte, du atmest ausschließlich die dünne Luft von Belgravia oder Soho oder … oh, mir fällt kein schicker Londoner Stadtteil mehr ein.»
«Ein Meeting. Potenzielle Geldgeber. Die Straße hoch, in einer umgebauten Brauerei.» Reece schob ihr das Schüsselchen mit den Nüssen zu. «Dann erzähl mal von diesem schrecklichen Tag.»
«Ich habe diese Schülerin aus dem Kongo, Abena. Sie hat Probleme mit ihrem Visum, und ich versuche ihr zu helfen. Also habe ich den Tag damit verbracht, mit diversen Behörden-Blödmännern zu telefonieren, denen alle Menschen am A… vorbeigehen, und ich bin bis zum Scheitel voll mit Adrenalin.» Sie ballte die Fäuste. «Abena geht nicht nach Hause. Nicht, solange ich hier bin. Notfalls lege ich mich vor das Flugzeug, wenn’s sein muss.»
«Das Gezänk mit den Bürokraten hat ja richtig Farbe auf deine Wangen gezaubert.»
Orla lächelte und wurde rot. Flirtete er etwa mit ihr? Sie linste über ihr Glas zu ihm hinüber. Nein, er flirtete nicht. Er war nur galant. Er beschützte nur die Fast-Verlobte seines toten Freundes. Sie war erleichtert: Sie mochte es, wenn Reece diese Rolle spielte.
«Ooh, für mich?» Sie nahm den steifen, cremefarbenen Umschlag entgegen, den er ihr hinhielt.
«Für dich plus Begleitung. Es ist die Einladung zu Reece Dodds jährlicher Künstlerparty.»
«Ah.» Orla las die Einladung und fuhr mit dem Finger über das geprägte Logo. Ihr wurde ganz kalt vor Angst. «Reece, ich weiß nicht …»
«Absagen werden nicht akzeptiert. Sie ist Ende Oktober, also hast du drei Wochen Zeit, dich in Ruhe an die Vorstellung zu gewöhnen. Die Party ist immer ein großer Spaß, wenn ich das selbst so sagen darf. Alle meine Klienten, all die Reichen und Schönen werden da sein. Sim ist letztes Jahr in den Pool gefallen.»
«Oh ja, er hat mich angerufen, als er wieder zu Hause war. Er war sturzbesoffen und grölte. Er wollte unbedingt, dass ich für die Party nach London fliege.» Es war wieder das bittere alte Lied: Auch diesmal kam sie zu spät, um ihm den Gefallen zu tun. «Ja, natürlich komme ich.»
«Gut.» Reece ließ die Schultern sinken. «Auftrag erfüllt.»
«Muss ich mich da auftakeln?»
«Ja, Landmaus, da musst du dich auftakeln.» Reece war belustigt. «Es wird todschick, wie du es ausdrücken würdest. In meiner Wohnung in Sussex. Überall stehen Kellner herum. Zu essen gibt es schrecklich leckere kleine Häppchen. Der Champagner fließt wie, na ja, wie Champagner eben. In Strömen. Und wenn du dann zusammenbrichst, stecke ich dich in ein Hotel in der Nähe.»
«Dann muss ich mir wohl was zum Anziehen kaufen.»
«Du würdest natürlich auch in einem Kartoffelsack hinreißend aussehen, aber ja, kauf dir doch was Schönes und krame deine höchsten Schuhe raus. Und bring jemanden mit. Warum nicht?» Sie hatte das Gesicht verzogen. «Hey, Sim würde es wollen.»
«Du jetzt nicht auch noch.» Orla schüttelte den Kopf. «Du solltest ihn besser kennen. Jeder sagt:
Sim würde wollen, dass du glücklich bist.
Ma, Maude, sogar meine Freundin Juno. Aber du und ich wissen, dass das nicht stimmt. Er hätte es lieber, wenn ich ihm schluchzend ins Grab hinterherspringen und vor Kummer meine Kleidung zerfetzen würde. Es würde ihm gefallen, wenn ich für den Rest meines Lebens einen schwarzen Schleier und dazu den passenden Keuschheitsgürtel tragen würde.»
Sims Liebe war wild und besitzergreifend gewesen. In den frühen Tagen ihrer Beziehung hatte Orla ihm von ihren wenigen Liebschaften erzählt,
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