Ein letzter Brief von dir (German Edition)
bisschen verwöhnen kann. Kennen kann.» Er dachte einen Augenblick über das Wort nach. «Ja.
Kennen
.»
Sein Blick war direkt und ehrlich. Marek war eine ehrliche Haut, und wenn er Orla ansah, fühlte sie sich geprüft, aber auch zart, als ob er ihr all ihre Schwächen verzeihen würde.
Es war zehn Uhr.
«Die Kurtisane» war vorbei.
Orla hielt ihre Armbanduhr an die Valentinskarte. «Siehst du? Kurz nach elf. Noch gar nicht spät.» Sie wickelte sich den Schal vom Hals. Es war Mareks, fiel ihr wieder ein. Sie hatte ihn zurückgeben wollen. Sie zog sich die Jacke aus und ließ sich wie ein gefällter Baum aufs Sofa fallen. «Das Restaurant hätte dir gefallen», erzählte sie der Karte. «Es war richtig nobel. Und sie hatten Tintenfisch. Den hättest du sicher bestellt, oder, Liebling?» Sie lächelte den rosafarbenen Umschlag auf dem Kaminsims an, den sie inzwischen so gut kannte. «Nein, es war kein Date. Es gibt keinen Grund, so böse zu gucken. Sorgenfalten, Sim, Sorgenfalten – die machen so alt! Ich habe klargestellt, dass es nur ein Essen unter Freunden war, und Marek war das ganz recht.»
Es war ja nicht nötig, dachte Orla und berührte vorsichtig ihre Lippen mit der Fingerspitze, das auszuplaudern, was an der Tür geschehen war. Er hatte seinen Kopf gesenkt, sie war panisch geworden, hatte den Schlüssel fallen lassen, sich gebückt, um ihn wieder aufzuheben, er hatte sich ebenfalls gebückt, und sie war mit dem Kopf gegen sein Kinn gestoßen, als sie sich wieder hatte aufrichten wollen. Sie hatten gekichert. Er war zurückgetreten, die Hände in den Taschen, den Kopf gesenkt, den Blick auf sie gerichtet. «Gute Nacht, Irin», hatte er gesagt, widerstrebend und schwer.
«Gute Nacht!», hatte sie gesagt, ganz fröhlich und erleichtert.
Kapitel zwölf
O rla? Ich bin’s, Ma. Kannst du sprechen?»
«Wie geht’s, Ma?»
«Bestens. Bestens. Abgesehen von meiner Hüfte. Es klickt, wenn ich laufe. Man könnte denken, ich hätte ein Maschinengewehr im Schlüpfer.»
«Diese dumme Hüfte. Fährt dich Deirdre zum Supermarkt, wie sie es versprochen hat?»
«Ja. Sie ist ein gutes Mädchen.»
«Mädchen, Ma?»
«Für mich bleibt ihr Mädchen, auch wenn ihr hundert Jahre alt seid. Also. Auf jeden Fall haben wir es uns angeschaut.»
«Es? Oh … und?»
«Mein lieber Herr Gesangsverein, Sim war wirklich großartig. Man hätte schwören können, dass er Franzose ist. Und die Sachen, die er da trägt! Satin. Rüschen. Man konnte ihn vor lauter Spitze kaum sehen. Aber, oh, er spielt einen üblen Typen, Orla. Einen richtigen Fiesling. Hat beinahe eine arme Dienerin umgebracht, weil sie seinen Bordeaux hat fallen lassen. Wie hat er sich bloß den ganzen Text gemerkt?»
«Freut mich, dass es dir gefallen hat. Hier sind alle Zeitungen voll davon. Offenbar hat sich das ganze Land hingesetzt und zugeschaut. Und als es vorbei war, war Sim ein Star, genau, wie er es sich immer gewünscht hat – genau, wie er es sich immer ausgemalt hat. Hast du gehört, dass er vermutlich einen Preis kriegt? Bester Newcomer. Posthum. Und Lucy ist in der
Daily Mail
interviewt worden.»
«Hoffentlich hat sie nicht mit ihrem Gin-Atem den Journalisten angerülpst. Ich schau mir die nächste Folge auch an, aber, herrje, leicht ist das nicht. Ich musste ein bisschen vor mich hin weinen, sozusagen, danach, in der Küche. Was hast du gemacht, als es lief, Schätzchen?»
«Ich bin mit einem Freund essen gegangen.»
«Oh. Mit Reece?»
«Ähm, ja. Reece.»
«Du hast es nicht einmal bemerkt, oder?»
«Was denn, Ma?»
«Meinen raffinierten Plan. Ich wende umgekehrte Psychologie an. Ich hab dich schon seit drei Wochen nicht mehr gefragt, ob du an Weihnachten kommst, und du hast es nicht einmal bemerkt.»
«Tut mir leid, Ma.»
«Wenn ich einen Euro kriegen würde für jedes Mal, dass eins meiner Kinder ‹Tut mir leid, Ma› sagt, hätte ich längst genug für einen Diamantenhut. Also.»
«Komme ich an Weihnachten nach Hause?»
«Ja.»
«Ich weiß es nicht.»
«
Sie weiß es nicht
. Wie reizend. Und was ist mit Silvester? Du kannst meine Party nicht verpassen. Sie ist Tradition.»
«Ich bin kein großer Fan von Silvester, Ma.»
«Seit wann das denn?»
«Seit … bin ich nun mal nicht, Ma.»
«Suchst du immer noch nach diesem Tagebuch?»
«Es muss ja irgendwo sein. Es wird schon seinen Weg zu mir finden.»
«Pass auf, wenn du es liest, Liebes. Du weißt, was man über Lauscher an der Wand sagt.»
«Ich weiß. Sie hören
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