Ein letzter Brief von dir (German Edition)
kaufen. Wir waren beide erst zwanzig. Stell dir vor. Zwanzig und verheiratet.»
Marek schüttelte den Kopf, als ob er die Vision seines jüngeren, naiven Selbst loswerden wollte.
«Ich habe mein Jurastudium aufgegeben. Mein Vater war außer sich. Dann bin ich hierhergekommen. Lange vor der polnischen Einwandererwelle», fügte er hinzu und unterstrich seine Worte mit einer Bewegung seines Buttermessers. «Zuerst war ich wie ein Einhorn, der Einzige meiner Art. Es gab keine Kabanossi bei Sainsbury’s zu kaufen, nirgends polnische Clubs. Nur das eine Café in der Ladbroke Grove, in dem wir zusammen waren. Natürlich gab es kein Internet: Ich habe meine Frau einmal die Woche angerufen, von einem Telefon im Flur vor meinem möblierten Zimmer aus. Ich habe auf Baustellen gearbeitet, Wände eingerissen, gelernt, wie man Anbauten plant – und wie sehr die Briten Anbauten lieben –, und ich habe jeden einzelnen Penny nach Hause geschickt. Es war eine harte Zeit, und ich hätte damals gern die Unterstützung des netten polnischen Netzwerks gehabt, das es heute hier gibt. Also, Frau Lehrerin, deshalb ist mein Akzent kaum hörbar. Weil es keine andere Möglichkeit gab. Ich musste mich anpassen. Ich brauchte eine Tarnung. Und als ich endlich Fuß gefasst hatte» – Marek hob eine kohlschwarze Augenbraue –, «erkannte ich, dass ich diese Stadt liebe. Sie ist …» Marek suchte nach einem Wort und streckte seine Arme aus, als ob er einen Wasserball hielte. «Sie ist elastisch! Es gibt hier einen Platz für alles und jeden. Sie zu erforschen hat mir die geistige Gesundheit erhalten. Es hat nämlich eine Weile gedauert, bis ich Freunde gefunden habe. Ich habe mich die ganze Zeit auf meine Frau konzentriert, darauf, dass ich sie herholen wollte. Weil ich verrückt nach ihr war und ein romantischer Mensch bin.»
Er hielt inne und sah Orla aufmerksam an.
Sie hüstelte und stocherte in ihrem Salat herum. Das war eine beeindruckend lange Rede, und sie hatte ihre Pasta nicht einmal angerührt.
«Entschuldigung. Wo war ich stehengeblieben? Ich spare also. Ich kaufe eine kleine Wohnung. Winzig. Meine Frau kommt her. Wir kaufen eine größere Wohnung. Wir kaufen ein Haus. Wir versuchen, ein Kind zu bekommen. Kein Kind.» Mareks Ton war sachlich, aber seine Kiefer waren angespannt. «Ich arbeite härter, länger. Der Immobilienboom ist Wind in meinen Segeln. Aga entdeckt immer mehr Dinge, die wir dringend brauchen. Und darüber sprechen wir. Über Dinge. Niemals über Gefühle.»
«Das passiert leicht.»
«Nein, tut es nicht.» Marek blieb unnachgiebig. «Wir hätten dagegen ankämpfen sollen. Wir hätten aufmerksamer sein müssen. Ich hatte lange genug Zeit, viel zu viel Zeit, um über all diese Jahre nachzudenken, und aus dieser Entfernung scheint mir unsere Ehe merkwürdig altmodisch. Ich war der Ernährer. Aga war Hausfrau.» Marek hielt seine Gabel wie die Keule eines Höhlenmenschen. Dann legte er sie auf den Teller und verschränkte seine Hände. «Wir waren keine Partner. Wir hatten
Rollen
statt Persönlichkeiten. Ich wache immer noch nachts auf und bereue, dass ich nicht gesagt habe:
Lass uns von hier fortgehen, nur wir beide, irgendwohin, wo es keine Geschäfte und keine Telefone gibt.
Selbst wenn wir mal
fort
waren, haben wir in Villen mit Privatpool logiert. Wir haben unsere Liebe in Luxus erstickt.»
Marek seufzte.
«Wir hatten an jenem Tag wieder mal einen unserer dummen Streits. Oh, das ist übrigens etwas, was du über mich wissen solltest. Ich bin aufbrausend. Ich bin ein leidenschaftlicher Mann.»
Das Kribbeln in ihrem Bauch kam unerwartet. Orla hasste Streit.
«Ich werde daran denken.»
«Ich fange selten Streit an, und er ist auch immer schnell vorbei, aber hin und wieder:
rumms
!»
Marek malte eine pilzförmige Wolke in die Luft, stieß dabei den Sommelier an und entschuldigte sich. Orla und er teilten ein konspiratives Lächeln. Dann kam er wieder auf sein Thema zurück, und sein Gesicht verdüsterte sich.
«An jenem Morgen habe ich Aga angeschrien. Sie hat zurückgeschrien. Wir haben einander wehgetan, bevor wir uns zurückhalten konnten. Aber keiner von uns hätte den anderen je verlassen.»
«Da war immer noch Liebe», sagte Orla.
«Das ist nicht der Grund. Wir waren weit weg von zu Hause und haben uns aneinandergeklammert. Wir wollten unsere Familien nicht im Stich lassen, aber ich habe mich nicht mehr auf sie gefreut, und ich spürte, dass sie enttäuscht von mir war. Jeder Idiot konnte
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