Ein liebender Mann
von selbst gelang, wunderte ihn. Sie kam herauf, und mit ihr kam eine, die Lili genannt wurde.
Die Prinzessin beschwerte sich zuerst lustig, er habe ihr in der letzten Woche einmal gutes Wetter prophezeit, und da er als Wolken- und Wetterfachmann gelte, habe sie vertraut, und was ist geschehen, nass geworden ist sie.
Goethe sagte: Letzte Woche, da war ich noch jung und folglich grausam.
Hier bringe ich eine junge Dame aus Berlin, die bringt Ihnen Grüße von … Sie sah die hübsche Junge, die noch keine fünfundzwanzig war, fragend an.
Von Zelter, sagte die, der mein Gesangslehrer ist.
Richtig, Zelter, sagte die Prinzessin.
Vielleicht der einzige Freund, den ich je hatte, sagte Goethe.
Er liebt Sie sehr, sagte die Lili Genannte.
Ich ihn noch mehr, sagte Goethe.
Zelter, Schubert, bald wird man Sie nur noch singen, sagte die Prinzessin. Aber gegen den Schubert wehren Sie sich, plauderte sie weiter, und ich weiß auch, warum.
Goethe führte pantomimisch auf, dass er jetzt sehr neugierig sei.
Weil er eine Brille hat, der arme Franz, und was für eine.
Goethe sagte: Werte Prinzessin, Sie könnten zehn Brillen tragen, es würde mich kein bisschen stören.
Danke, rief sie, die immer lieber rief als sprach.
Goethe bat, Platz zu nehmen. Auf dem Sofa oder auf den Stühlen um den runden Tisch. Die Lili Genannte setzte sich sofort aufs Sofa. Genau dahin, wo vor ein paar Tagen Ulrike Platz genommen hatte. Aber auf das gelbe Kissen mit den blassroten Märchenvögeln konnte sie die Hand nicht legen, das hatte er in die Ecke gefeuert. Er wollte sich auf einen Stuhl setzen. Die Lili Genannte sagte ungeniert, er müsse neben ihr Platz nehmen. Und er in alter Routine: Nichts anderes habe er vorgehabt.
Und sie, offenbar um zu betonen, dass sie hierher nicht als Gesangsschülerin komme, sondern als Verehrerin: Ich heiße nur Lili, einen Park habe ich nicht.
Das kommt noch, sagte Goethe, wie in einem Schäferstündchen-Stück. Ihm tat es immer gut, wenn jemand aufetwas anspielte, was er vor langer Zeit gemacht hatte. Lilis Park also.
Was soll mir ein Verehrer-Park, sagte sie, wenn unter dem Liebesvolk kein Goethe ist. Kennen Sie noch die letzte Zeile Ihres Lilis Park-Gedichts.
Und er: Manchmal glaube ich, Welt und Zeit haben mehr ausgelöscht, als da war.
Und Lili führte die Zeile auf, wie sie nur eine enthusiastische Verehrerin, die Gesang studiert, aufführen kann: Ich fühl’s! Ich schwör’s! Noch hab ich Kraft!
Und er: Herrlich, Lili. Wenn ich Ihnen zuhöre, könnte ich glauben, um mein Nachleben müsse ich nicht bangen.
Sie leben noch, Herr Geheimrat, rief sie, ich spür’s durch und durch.
Zelter schreibe ihm immer, sagte er, von seinen schönen Schülerinnen, jetzt wisse er, was das heiße.
Lili drehte sich voll zu ihm hin und sagte: Sie sind viel schöner, als man nach der Büste, die Rauch geschaffen hat, vermuten darf.
Goethe sagte: Ach ja, ach ja. Das klang gequält.
Ist doch besser als umgekehrt, sagte Lili.
Wenn Sie das sagen, stimmt es, wenn es auch überhaupt nicht wahr sein sollte, sagte er.
Ich finde es superbe, dass Sie sprechen, wie Sie schreiben, sagte sie.
Er habe doch noch gar nichts gesagt, sagte er.
Doch, sagte sie, Sie haben gesagt: Letzte Woche war ich noch jung und folglich grausam. So ein Satz, und wie Sie ihn sagen, das geht mir durch und durch.
Es war eine Konversation. Goethe hörte sich reden undhörte und sah, dass seine Besucherinnen entzückt waren. Als sich herausstellte, dass er lange nicht in Berlin gewesen war, sollte er versprechen, bald nach Berlin zu kommen. Er sagte, dass sein Sohn August und dessen Ottilie inzwischen die Wintermonate über nur noch in Berlin sein wollten und jedes Mal mit noch mehr Begeisterung erzählten, wie es sei, durchs Brandenburger Tor zu fahren.
Aber er?
Nun gut, er verspreche, sobald ihm im nächsten Winter nach Reisen zumute sei … Und als er jetzt doch zögerte, drehte sich Lili wieder voll zu ihm hin, fasste sogar nach seinen Händen und rief:
Verzeihen Sie, aber Sie müssen kommen, Zelter zuliebe, Berlin zuliebe. Mir zuliebe. Sie hatte Tränen in den Augen, ließ seine Hände jäh los. Sie erschrak jetzt. Was hatte sie da gewagt! Sie sagte nur noch – und schluchzte dabei: Verzeihen Sie, bitte, bitte, bitte. Und sprang auf, nahm sängerische Haltung an und sang: Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide. In Zelters Vertonung. Und sie sang es so, dass Zelters einfachere Tonart mehr Empfindung ausdrückte als
Weitere Kostenlose Bücher