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Ein liebender Mann

Ein liebender Mann

Titel: Ein liebender Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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geschrieben zu haben und keinen zu wissen, der sie gleich lesen und miterleben würde. Am liebsten sofort nach Eger. Das kannte er von sich, dass er für Gedichte rascher Gesellschaft brauchte als für andere Arten von Geschriebenem. Gedichte, das war Eilpost. Eilpost der Seele. Das war ein glücklicher Tag, mit einer Verzweiflung so umgegangen zu sein, dass sie zugeben musste, sie sei als ausgedrückte schöner als im rohen Naturzustand. Und er würde dafür sorgen, wie, wusste er noch nicht, dass Ulrike das heute Geschriebene genau so zu lesen bekomme wie der Kriminalrat. Er sieht voraus, dass er keinen Tag, an dem er Ulrike nicht sieht, überleben kann, ohne das, was ihm da zugemutet wird, im Gedicht zu fassen. Heute war es geglückt. Heute war er, ja, für heute war er gerettet.
    Und als wäre das nicht schon genug, traf am mittlerenNachmittag die Nachricht ein: Graf Sternberg ist zurück und würde sich freuen, seinen großen Freund wenigstens sehen zu dürfen. Ist denn ein Glück nicht genug? Offenbar nicht. Ach, in den Empfindungsstürmen dieser Wochen war untergegangen, dass der Graf, als er nach Ungarn aufbrach, noch gerufen hatte: Bis bald, ich hoffe, bis sehr bald. Der trat dann lachend ein. Goethe wollte diesen Menschen so umarmen, dass der nachdenklich würde. Ja, gerührt sollte der sein. Du kannst an einer Hand abzählen, wie viele Menschen in der ganzen Welt dir so einschränkungslos wohlgesonnen sind wie der. Diese durch dich durchwirkende Empfindung: Du darfst dich gehenlassen, du musst nicht mit angehaltenem Atem bereit sein auf alles, was da kommen mag. Und dann: Du merkst, der andere empfindet es genau so. Ihr habt euch selten gesehen, Briefe gewechselt mit dem Gefühl der Übereinstimmung im sozusagen Wissenschaftlichen, aber viel mehr Übereinstimmung war doch im Ton als in der Sache. Am 11.   Juli, auf der Promenade, die Levetzows, du hast ihre Gruppen-Silhouette erkannt, hast dich und den Grafen, das Gespräch über die geliebten Steine nicht stören wollend, auf die Formation Levetzow hingelenkt, die Begrüßung, das Essen, und dann der Graf, der Einzige, der das erspürt hat, wie viele andere waren an den Abenden im letzten und im vorletzten Jahr sitzen geblieben, dumm und taub, hatten nicht gemerkt, wie sie die Stimmung durch ihr Dazwischensitzen zermürbten, aber der Graf hat sich auf das Feinste empfohlen, weil er erspürt hatte, dass du jetzt die Levetzows ganz für dich brauchtest. Dem Grafen konnte er das Pflaster – es war nur noch das an der Stirn übrig – ohne Scheu erklären,auch zur Belustigung hinzufügen, mit wie viel Phantasie Carl August auf die zerschlagene Stirn reagiert hatte. Er konnte sich nichts denken, worüber er mit Sternberg nicht gern geredet hätte. Schon dass es gleichgültig ist, worüber man redet, zeigt eine Lebensübereinstimmung, die einen ohne weiteren Anlass fröhlich stimmen darf. Und dann noch die Mitteilung: Der Graf fährt auch nach Eger. Er, der Mäzen, der in Prag dafür sorgt, dass Böhmen in den Museen und Fakultäten mit allen seinen Schätzen weiterlebt, kennt natürlich den Kriminalrat Grüner. Darin, dass sie den beide gleichermaßen lieben, sehen sie wieder, wie nahe sie einander sind.
    Als sie abfuhren, regnete es, nein, es goss. Auf dem Weg die großen mit Wasser gefüllten Löcher, deren Tiefe man, weil sie voller Wasser waren, nicht schätzen konnte. Goethe bemerkte, wie sein Freund besorgt nach vorne zu Stadelmann schaute. Der Graf war ein Förderer nicht nur der Museen und der dem Bewahren gewidmeten Vereine, er sorgte auch dafür, dass an den Hochschulen und in den Gymnasien das Ingenieurwesen einem europäischen Wettbewerb gewachsen war. Deshalb fing Goethe an, seinen Wagen zu rühmen, den er für den am besten konstruierten und gebauten Wagen, zumindest in Sachsen und Thüringen, halten durfte. In seinem Land hat kein Wagen eine vergleichbare Federung bei voller Stabilität. Kein Wagen ist so leicht, so schnell, so sicher wie sein Wagen. Goethe hat jede erdenkliche Mühe auf seine Beweglichkeit verwendet, weil es sonst in Weimar nicht auszuhalten wäre. Er ist, wenn er will, ganz schnell in Frankfurt, Dresden und sonst wo. Er gibt allerdings zu, dass er meistens garnicht weit fort will. Wohl aber schnell herum sein will im kleinen Land.
    Der Graf sagte, das sei eine neue Seite Goethes, die er da kennenlerne.
    Da musste Goethe fast übermütig die Jungfernfahrt erwähnen. Er mit Ottilie, sie hatte verlangt, sie allein wolle neben

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