Ein liebender Mann
was mit dem Namen dieser Familie, der hier nie mehr genannt werden soll, zusammengebracht werden könnte! Das war’s. Er hatte nicht einmal gelogen. Er hatte diesen Text gern gesagt. Weil er ihn gern gesagt hatte, war der Text eine Art Wahrheit. Wer ihn Lüge nennen will, soll es tun. Er sagte einem anderen Menschen immer lieber das, was der hören wollte.
Als er aufstand und auf die Tür zuging, sagte Ottilie, sie müsse, so leid es ihr tue, ihn auf seine Haltung aufmerksam machen, er habe sie ja beauftragt, seine Wirkungen zu beobachten. Sie machte eine Pause.
Er sagte: Und?
Dein erzwungenes Dichaufrichten wirkt nicht angenehm, sagte sie. Man sieht, du willst nicht zugeben, dass dein Oberkörper samt Kopf und Nacken lieber ein bisschen vorgeneigt wäre. Dagegen kämpfst du an. Zu deutlich, finde ich. Verzeih.
Aber nein, ich bedanke mich, sagte er und gab sich einen Ruck, dass er noch viel aufrechter ging als vorher.
Dann also noch das Konzert. Da er die Musik nicht zu hören verstand, schaute er die Zuhörer an. Am liebsten Linchen von Egloffstein. Aber auch sie war keine Zuhörerin wie Ulrike. Nachher beim Essen spielte sich Ottilie auf. Der dämonische Jüngling an ihrer Seite. Seine langen schwarzen Haare hatte er straff am Kopf nach hinten gebunden, und hinten wurden sie von einer riesigen goldenen Seidenschleife gehalten, aber danach zeigten sie, was sie waren, wenn man sie nicht fesselte: eine schwarze Explosion. Was Ottilie sagte und tat, sagte und tat sie für ihn. Um ihn zu feiern. Rühmte sich, dass sie gerade Byrons Don Juan übersetze. Morgen werde sie für alle, die’s hören wollen, daraus vorlesen. Da war Charles, der achtzehnjährige Byron-Freund, natürlich der erwünschteste Zuhörer überhaupt. Und der ließ sich alles geistreich gefallen. Er kassierte, was ihm da geboten wurde, im schönsten Unernst. Als Parodie. Das merkte aber Ottilie nicht. Goethe fand Ottilie hohl, leer, ja lieblos. Nur wirkungssüchtig, ohne die Fähigkeit zu wirken. Vor allem aber: Die Liebe, die sie demonstrierte, war Mache, Mache und noch einmal Mache. Wahrscheinlich war ihr Liebe fremd. Er musste weg hier. Sein Herz klopft an und will hinaus. Dem Herzen kann man nichts verbieten. Es ist älter als du. Er bewunderte sich dafür, dass es ihm gelang, seine innere Hast und Eile und Bedürftigkeit in einen gemütlichen Abschied zu verwandeln. Dann saß er und schrieb und schrieb:
Ein liebender Mann
Jetzt ist es so weit. Wie lange hast du herumgelitten, so getan, als littest du, gelitten hat immer Frau Berlepsch, dir hat immer ein Gott gesagt, wie oder was du leidest, das war Elegie, wirf sie ins Feuer, Kulturbetrug, eingeübte Fälschung, jetzt ist es so weit, die Mitternacht mit dem neuen oder dem alten, auf jeden Fall mit dem endgültigen Namen, sie trägt ihn dann als Diadem, endlich ein Schmuck, ein Schmuck für immer, jetzt ist es so weit, in diesem Augenblick ist es so weit, sie tun jetzt, in dieser Sekunde tun sie, was du nicht darfst, was dir verboten ist, von der ganzen Welt durch Hohn und Spott verboten, sie tun es, jetzt ist es so weit, du hast dir das nicht vorgestellt, nicht vorstellen können, wie die dümmste Hummel bist du Wochen und Monate lang gegen die undurchsichtige Glaswand geflogen, aufgeprallt, abgestürzt, aber gleich wieder aufgeschwungen und wieder hin gegen die Glaswand Unmöglichkeit, du hast das nicht zugeben können, sie liegen neben einander, auf einander, über einander, unter einander, durch einander, in einander, ja, in einander liegen sie jetzt, in allerhöchster Liebeswut, jetzt ist es so weit, du hast es dir nicht vorstellen können, auf einmal kannst du es dir vorstellen, musst du es dir vorstellen, du kannst dir nichts anderes mehr vorstellen als die in ihrer endlich befreiten Liebeswut, jetzt ist es so weit, jetzt, auf welche Spitze will diese Gemeinheit dich noch treiben, ein Erdbeben, ein Erdbeben den Rhein entlang, Straßburg stürzt zusammen, das Münster, wo alles anfing, alles war nichts, alles war Geplänkel, Spiel, Macherei, Purzelbaum des Übermuts,ohne Angewiesenheit, Zwang, Schicksal, dann das, dann die, die Erste, die Einzige, jetzt ist es so weit, in dieser Sekunde tun sie es immer noch, wer hört zuerst auf, ihr dort oder du hier, du musst mitschreiben, bis du nicht mehr kannst, bis das Erdbeben kommt, Straßburg, da ging mein Trauern an, stürzt ein, der Rhein übernimmt den Rest, ohne Katastrophe ist dir nicht zu helfen, zum Weinen ist es zu spät, es kommt
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