Ein Lied für meine Tochter
geben.
»Alles okay mit dir?«, fragt Reid und schaut mich an. »Wie fühlst du dich?«
Durstig.
»Ob du es glaubst oder nicht, ich bin ein wenig seekrank. Ich glaube, wir sollten einfach zusammenpacken.« Und als wir fünfzehn Minuten später die Anlegestelle erreichen, sage ich zu ihm, dass ich Pastor Clive versprochen hätte, ein paar Büsche für ihn zu schneiden.
»Tut mir leid, dass wir nichts gefangen haben«, sagt Reid. »Beim nächsten Mal haben wir mehr Glück.«
»Viel schlimmer kann es auch nicht werden.«
Ich helfe ihm, das Boot festzumachen und abzuspritzen; dann winke ich ihm zum Abschied zu, als er nach Hause und zu Liddy fährt.
Fakt ist, dass ich Pastor Clive nie versprochen habe, irgendwelche Büsche für ihn zu schneiden. Ich steige in meinen Truck und fahre los. Am liebsten würde ich mich jetzt auf ein Board werfen und mir den Kopf frei surfen, doch das Meer ist heute spiegelglatt – typisch. Meine Zunge fühlt sich an, als sei sie aufs Doppelte angeschwollen, und meine Kehle ist so zugeschnürt, dass ich kaum noch atmen kann.
Durstig.
Ein kleiner Drink kann ja nicht schaden. Immerhin, Reid hat es ja gesagt, ich habe mich verändert. Ich habe Jesus gefunden, und gemeinsam wird es uns gelingen, das zweite Glas einfach stehen zu lassen. Und um ehrlich zu sein, ich glaube, wenn Jesus an meiner Stelle wäre, er würde sich jetzt auch einen hinter die Binde kippen.
Ich will in keine Bar, denn dort haben die Wände Ohren, und man muss ja keine unnötigen Risiken eingehen. Nun da Reid den größten Teil von Wade Prestons Gehalt bezahlt ( Für meinen kleinen Bruder tue ich alles , hat er gesagt) und da die Kirche den Rest übernimmt … Na ja, das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist, dass irgendein Gemeindemitglied mich dabei erwischt, wie ich gerade mal für einen Schluck vom rechten Weg abkomme. Also fahre ich zu einem Schnapsladen in Woonsocket, wo mich niemand kennt.
Und wo wir gerade schon dabei sind, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sage – was ich in nächster Zeit wohl noch häufiger werde tun müssen –, hier noch ein paar Fakten:
1. Ich kaufe nur eine Flasche Jack Daniels.
2. Ich plane, mir nur ein paar Schlucke zu genehmigen und den Rest dann wegzuschütten.
3. Als weiteren Beweis dafür, dass das eine einmalige Angelegenheit ist, breche ich das Siegel erst, als ich in Newport bin. Bis nach Hause sind es dann nur noch ein paar Meilen.
All das, Euer Ehren, beweist eindrucksvoll, dass Max Baxter Herr seiner Entscheidungen, seines Lebens und seiner Trinkgewohnheiten ist.
Doch als ich auf den Parkplatz fahre und die Flasche öffne, zittern meine Hände. Und als die goldene Flüssigkeit meine Kehle hinunterläuft, da sehe ich Gottes Angesicht – ich schwöre.
Bereits als ich Liddy vorgestellt wurde, mochte ich sie nicht. Reid hatte sie während einer Geschäftsreise in Mississippi kennengelernt. Sie war die Tochter eines seiner Kunden. Schlaff hielt sie mir die Hand hin, zog die Mundwinkel hoch und sagte: »Ich freue mich ja so sehr, endlich Reids kleinen Bruder kennenzulernen.« Mit ihren goldenen Locken, der schmalen Hüfte und den feinen Händen und Füßen sah sie wie eine Puppe aus. Sie trug einen Keuschheitsring.
Reid und ich hatten über dieses kleine Detail gesprochen. Ich wusste, dass Reid kein Heiliger war. Er hatte schon die ein oder andere Beziehung gehabt. Und was mich betraf, so konnte ich mir nicht vorstellen, Eiscreme für den Rest meines Lebens zu kaufen, ohne sie vorher einmal probiert zu haben. Aber es war das Leben meines Bruders, und ich war mit Sicherheit der Letzte, der ihm hätte sagen können, wie er es zu leben hat. Wenn er mit seiner Verlobten bis zur Hochzeitsnacht Händchen halten wollte, dann war das sein Problem, nicht meins.
Liddy hatte ihren Abschluss am Bibel-College schon vor drei Jahren gemacht, und seitdem hatte sie nur einen Job gehabt: als Lehrerin in der Sonntagsschule der Gemeinde ihres Daddys. Sie hatte keinen Führerschein. Und manchmal habe ich einfach einen Streit mit ihr angefangen, nur weil es so leicht war. »Was hast du denn gemacht, wenn du mal was einkaufen musstest?«, habe ich gefragt. »Oder wenn du abends mal in eine Bar wolltest?«
»Daddy zahlt«, hat sie geantwortet. »Und ich gehe in keine Bars.«
Sie war nicht einfach nur süß, sie war purer Zucker, und ich konnte einfach nicht verstehen, dass Reid nicht sah, dass Liddy viel zu gut war, um wahr zu sein. Niemand war so rein und süß.
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