Ein Lied für meine Tochter
einen Vorbereitungskurs für den SAT.«
Michaela wird den SAT, den Zulassungstest der Unis, erst in zwei Jahren ablegen. Ich seufze. »Ich werde mit Mr. Levine reden«, sage ich, »aber ich kann Ihnen nichts versprechen.«
Mrs. Berrywick öffnet ihre Börse und holt einen Fünfzigdollarschein heraus. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie auch meinen Standpunkt in Ihre Überlegungen miteinbeziehen.«
»Ich kann Ihr Geld nicht annehmen. Und kaufen können Sie bessere Noten für Michaela ohnehin nicht …«
»Das will ich doch auch gar nicht«, unterbricht mich die Frau und zwingt sich zu einem Lächeln. »Michaela hat sich ihre Noten stets selbst verdient. Ich biete Ihnen nur ein … ein Zeichen meiner Dankbarkeit an.«
»Danke«, sage ich und schiebe die Hand mit dem Schein zurück, »aber ich kann das wirklich nicht annehmen.«
Sie mustert mich von Kopf bis Fuß. »Ich will Sie ja nicht beleidigen«, flüstert Mrs. Berrywick in verschwörerischem Tonfall, »aber Ihre Garderobe könnte durchaus eine kleine Frischzellenkur gebrauchen.«
Ich denke gerade darüber nach, zu Alec Levine zu gehen und ihn zu bitten, Michaela Berrywick eine noch schlechtere Note zu geben, als ich im Vorzimmer jemanden weinen höre. »Bitte, entschuldigen Sie mich«, sage ich zu Mrs. Berrywick und bin fest davon überzeugt, dass mich die Zehntklässlerin vor meiner Tür erwartet, deren Periode sich um zwölf Tage verspätet und deren Freund sie nach dem Sex einfach abserviert hat. Ich schnappe mir die Schachtel mit den Kosmetiktüchern – Schulpsychologen sollten eigentlich einen Mengenrabatt von Kleenex bekommen – und gehe raus.
Doch da ist nicht die Zehntklässlerin, sondern Zoe.
»Hey«, sagt sie. Zoe versucht sich an einem Lächeln, scheitert jedoch kläglich.
Unser katastrophaler Trip nach Boston liegt nun drei Tage zurück. Nach Zoes Ausschabung habe ich mich mit ihrer Mutter in Verbindung gesetzt, die daraufhin sofort von ihrer Konferenz nach Hause geflogen ist, um sich mit mir in Zoes Haus zu treffen. Später habe ich Zoe dann immer wieder angerufen, um mich nach ihrem Zustand zu erkundigen – genau genommen nur so lange, bis sie mir unmissverständlich erklärte, wenn ich sie noch einmal fragen sollte, wie es ihr gehe, würde sie einfach auflegen.
Eigentlich hätte sie heute wieder arbeiten sollen.
»Stimmt was nicht?«, frage ich, führe Zoe in mein Büro … und ich schließe die Tür.
Zoe wischt sich mit einem Kosmetiktuch die Augen trocken. »Ich verstehe das einfach nicht. Ich bin doch kein schlechter Mensch«, sagt sie, und ihre Lippen beben. »Ich versuche immer, nett zu sein. Ich trenne ordentlich den Müll, und ich spende Geld für Obdachlose. Ich sage Bitte und Danke, ich putze mir regelmäßig die Zähne, und an Thanksgiving arbeite ich ehrenamtlich in einer Suppenküche. Ich arbeite mit Menschen, die unter Alzheimer und Depressionen leiden, und ich versuche immer, ihnen den Tag zu versüßen.« Sie schaut mich an. »Und was bekomme ich dafür? Unfruchtbarkeit. Fehlgeburten. Ein tot geborenes Kind. Eine gottverdammte Embolie. Und eine Scheidung.«
»Das ist nicht fair«, sage ich.
»Ja, und das gilt auch für den Anruf, den ich heute bekommen habe. Die Ärztin … die aus Boston, du weißt schon … Sie hat gesagt, sie hätten ein paar Tests gemacht.« Zoe schüttelt den Kopf. »Ich habe Krebs. Gebärmutterkrebs. Und das ist noch nicht alles … Das war die gute Nachricht. Sie haben den Krebs früh genug erkannt, sodass nach einer Totaloperation alles wieder in Ordnung ist. Ist das nicht wunderbar? Sollte ich meinem Schutzengel nicht dafür danken? Ich meine, was kommt als Nächstes? Fällt mir ein Amboss auf den Kopf? Wirft mein Vermieter mich raus?« Sie steht auf und dreht sich im Kreis. »Keine Ahnung, in was für einer beschissenen Kopie von Verstehen Sie Spaß? ich hier gelandet bin, ich habe die Schnauze voll … Ich bin fertig mit der Welt … Ich …«
Ich stehe auf, nehme sie in die Arme, drücke sie an mich und schneide damit ab, was auch immer sie gerade sagen will. Kurz ist Zoe wie erstarrt, dann schluchzt sie in meine Seidenbluse. »Zoe«, sage ich, »es …«
»Wage es ja nicht«, unterbricht sie mich. »Wage ja nicht, mir zu sagen, dass es dir leidtut.«
»Das will ich doch auch gar nicht sagen«, erwidere ich und versuche, so ernst wie möglich dreinzuschauen. »Ich meine, schauen wir uns doch nur mal die Wahrscheinlichkeit an … Die Tatsache, dass dir das alles
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