Ein Lied für meine Tochter
schwimmen, die man in ein Meerjungfrauenkostüm mitsamt Muschel-BH gesteckt hat.
Glücklicherweise hat meine Mutter beschlossen, nach dem Film nach Hause zu gehen, sodass Vanessa und ich unsere Drinks allein genießen können. Die Frau im Tank fasziniert mich. »Wie atmet sie da drin?«, fragte ich laut. Dann sehe ich, wie sie verstohlen Sauerstoff aus einem Mundstück einatmet, das sie in ihrer Hand verborgen hat und das über einen Schlauch mit einem Apparat an der Decke des Aquariums verbunden ist.
»Ich muss wohl meinen Irrtum eingestehen«, sagt Vanessa. »Offenbar gibt es doch einen Beruf für Mädchen, die als Kinder Meerjungfrauen werden wollten.«
Eine Kellnerin bringt uns die Drinks und die obligatorische Schale mit Nüssen. »Ich könnte mir vorstellen, dass man das ziemlich schnell leid wird«, bemerke ich.
»Ich weiß nicht. Ich habe gelesen, dass Themenrestaurants in China gerade ziemlich in sind. Es soll eins geben, in dem alle Gerichte nach Fernsehserien gekocht werden, und in einem anderen werden nur mittelalterliche Speisen serviert – man muss dort mit den Fingern essen.« Sie schaut mich an. »Was mich aber eigentlich reizen würde, ist ein Steinzeitrestaurant. Da gibt es rohes Fleisch.«
»Muss man da seine Beute auch selbst erlegen?«
Vanessa lacht. »Vielleicht. Ich stelle mir gerade vor, wie man sich bei der Kellnerin beschwert: ›Äh, Miss, wir haben einen Tisch bei den Jägern bestellt, sitzen jetzt aber bei den Sammlern.‹« Sie hebt ihren Drink und prostet mir zu. »Auf die Eternal Glory Church. Mögen sie dort eines Tages erkennen, dass Gott nichts mit Hass zu tun hat.«
Ich hebe ebenfalls mein Glas, trinke aber nicht. Ich denke an Max.
»Ich verstehe einfach nicht, dass diese Leute an einen mysteriösen ›homosexuellen Plan‹ glauben«, überlegt Vanessa laut. »Weißt du, was meine homosexuellen Freunde in Wirklichkeit für einen ›Plan‹ haben? Sie wollen Zeit mit ihren Familien verbringen, genug verdienen, um ihre Rechnungen bezahlen zu können, und nach der Arbeit noch schnell was im Supermarkt kaufen.«
»Max war Alkoholiker«, erkläre ich unvermittelt. »Er musste das College wegen seiner Trinkerei abbrechen. Wenn das Wetter entsprechend war, ist er immer surfen gegangen. Dann haben wir uns gestritten, weil er doch eigentlich ein Geschäft führen sollte. Er hat all seine Geschäftstermine abgesagt, wenn die Wellen über zehn Fuß hoch waren.«
Vanessa stellt ihr Glas beiseite und schaut mich an.
»Was ich damit sagen will«, fahre ich fort, »ist Folgendes: Er war nicht immer so. Und dann dieser Anzug … Ich glaube, während unserer ganzen Ehe hat er nur eine einzige Sportjacke besessen.«
»Er sah ein wenig wie ein CIA-Agent aus«, bemerkt Vanessa.
Meine Lippen zucken. »Ja. Ihm fehlte nur noch der Ohrstöpsel.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass man für die Hotline zu Gott keine Elektronik braucht.«
»Die Menschen müssen all diese Rhetorik doch durchschauen«, sage ich. »Nimmt wirklich jemand Clive Lincoln ernst?«
Vanessa streicht mit dem Finger über den Rand ihres Martiniglases. »Ich war gestern in einem Supermarkt, und der Truck, der neben mir parkte, hatte einen Aufkleber, auf dem stand: ICH BREMSE NICHT FÜR SCHWUCHTELN. Also würde ich sagen: Ja, einige Leute nehmen ihn wohl ernst.«
»Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass Max einer von ihnen sein würde.« Ich zögere. »Glaubst du, das ist meine Schuld?«
Eigentlich hatte ich erwartet, dass Vanessa den Gedanken sofort verwirft, doch sie denkt einen Moment nach. »Wenn du dich nicht so sehr in dich zurückgezogen hättest, nachdem du das Baby verloren hast, dann hättest du Max vielleicht helfen können. Allerdings klingt das für mich auch so, als sei Max bereits ein gebrochener Mann gewesen, als du ihn kennengelernt hast. Und wenn das der Fall war, dann wäre er früher oder später ohnehin wieder rückfällig geworden, egal was du auch getan hättest.« Sie greift nach ihrem Glas und leert es in einem Zug. »Weißt du, was du tun solltest? Du solltest endlich loslassen.«
»Was denn loslassen?«
»Max natürlich.«
Ich spüre, wie ich rot anlaufe. »Ich halte doch gar nicht an ihm fest.«
»Hey, ich verstehe das. Das ist nur natürlich, ihr beide wart schließlich …«
»Er war noch nicht mal mein Typ«, platze ich heraus und erkenne erst in diesem Augenblick, dass das wirklich stimmt. »Max war … Nun ja, er war einfach so vollkommen anders als die anderen Typen, die
Weitere Kostenlose Bücher