Ein Lied für meine Tochter
wir auch schon wieder und sind fest davon überzeugt, dass wir kurz vor einem Herzinfarkt stehen.
Also rufe ich sie eine Woche später an und erkläre ihr, dass Bauchtanz vielleicht eher unser Ding sei. Wir sind auch tatsächlich ziemlich gut darin, aber die anderen Schüler nicht. Schließlich wirft die Trainerin uns raus, weil wir uns vor lauter Lachen einfach nicht konzentrieren können.
Samstags machen wir es jetzt immer so, dass Vanessa mit Kaffee und Bageln zu mir kommt und wir gemeinsam die Zeitung am Küchentisch lesen. Dann machen wir eine Liste mit allem, was wir am Wochenende erledigen müssen. Genau wie ich, hat auch Vanessa auf der Arbeit zu viel zu tun, um es noch in die Reinigung, zum Supermarkt oder zur Post zu schaffen, und so koordinieren wir unsere Touren. Außerdem ist es auch wesentlich lustiger, gemeinsam durch den Walmart zu schlendern und darüber zu diskutieren, ob Dessous in Übergröße ein Nischenmarkt sind oder nicht.
Wir fahren zu einem Wochenmarkt – auf dem es unabhängig von der Jahreszeit hauptsächlich Honig, Bienenwachskerzen und Sachen aus selbst gesponnener Wolle gibt –, wandern von einem Stand zum anderen und lassen uns Proben geben. Manchmal inspiriert uns das, und wir suchen uns ein Rezept aus Leichte Küche aus, werfen die Zutaten zusammen und verbringen dann den Nachmittag damit, ein Soufflé, ein Ragout oder ein Beef Wellington zu machen.
Eines Samstags, Anfang März, bin ich auf mich allein gestellt. Vanessa ist zur Hochzeit eines Freundes nach San Francisco gefahren, was mir entgegenkommt, denn ich habe wesentlich mehr zu tun als sonst. Die Schülerin, über die Vanessa vor Monaten mit mir gesprochen hat – Lucy DuBois –, hat gerade eine sechsmonatige Therapie für depressive Jugendliche im McLean Hospital hinter sich. Jetzt will sie wieder in die Schule gehen, und ich soll mit ihr arbeiten. Zur Vorbereitung habe ich mehrere Bücher über depressive Teenager und Musiktherapie bei Stimmungsschwankungen durchgeackert.
Ich habe Vanessa versprochen, ihre Wäsche zusammen mit meiner von der Reinigung abzuholen. Also fahre ich noch schnell in die Stadt, bevor ich mir noch einmal Lucys Schulakte ansehen will. Die Frau, der die Reinigung gehört, ist winzig, und sie bewegt sich so schnell, dass ich mich immer an einen Kolibri erinnert fühle. »Sind Sie heute allein unterwegs?«, fragt sie, nimmt die Abholscheine von mir entgegen und huscht durch das wunderbare Labyrinth frisch gewaschener Wäsche. Letzte Woche, als Vanessa bemerkte, die aufgehängte Wäsche sähe aus wie aus einem Film von Tim Burton, hat die Frau uns hinter den Tresen gelassen und uns gezeigt, wie sich die Wäsche wie ein gigantischer Reißverschluss bis weit nach hinten hinein in den Laden erstreckt.
»Jep«, antworte ich. »Heute bin ich solo.«
Die Frau gibt mir meine Hose und einen bunten Stapel mit Vanessas Blusen. Ich zahle und sage: »Danke. Dann bis nächste Woche.«
»Grüßen Sie Ihre Partnerin von mir.«
Ich bin wie erstarrt. »Sie ist nicht … Ich meine, ich bin nicht …« Ich schüttele den Kopf. »Mrs. Chin, Vanessa und ich … Wir sind nur Freundinnen.«
Ich nehme an, dass diese Fehleinschätzung naheliegt. Mrs. Chin hat mich und Vanessa nun schon wochenlang gemeinsam gesehen, und tatsächlich ist die Vorstellung auch irgendwie schön, dass eine einfache Ladenbesitzerin wie selbstverständlich davon ausgeht, dass zwei Menschen desselben Geschlechts ein Paar sind.
Warum also werde ich rot?
Ich bringe die Wäsche zu meinem Wagen und denke: Irgendwie lustig. Und wenn ich das Vanessa erzähle, wird sie das bestimmt auch lustig finden.
Die letzten Teenager, mit denen ich gearbeitet habe, waren in einem Programm, das rivalisierende Jugendgangs zusammenbringen sollte. Bis dahin hatten sie versucht, sich auf der Straße gegenseitig umzubringen. Als ich ihnen sagte, sie sollten einen Trommelkreis bilden, wären sie sich fast an die Kehlen gegangen, doch ihre Sozialarbeiter brachten sie dazu, sich um die Schlaginstrumente zu versammeln, die ich mitgebracht hatte. Dann verteilte ich die Instrumente, und glauben Sie mir, wenn Sie einem heranwachsenden Jungen eine Trommel in die Hand geben, dann schlägt er auch drauf. Wir begannen mit einem simplen Klatschrhythmus. Dann wandten wir uns den Trommeln zu. Schließlich trommelten wir reihum, sodass jeder Jugendliche sein eigenes Solo hatte.
Wissen Sie, was an so einem Trommelkreis wirklich gut ist? Niemand muss alleine spielen. Und
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