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Ein Lied für meine Tochter

Ein Lied für meine Tochter

Titel: Ein Lied für meine Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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verschrieben hat. Sie will noch nicht einmal beten.« Er schaut mich an. Seine Augen sind blutunterlaufen. »Ich weiß, es ist eine Sünde, das zu sagen. Ich habe das Baby geliebt, doch ich liebe meine Frau noch mehr.«
    Ich schüttele den Kopf. Jahrelang, jedes Mal, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stand, hat mein Bruder mir die Hand gereicht. Jetzt kann endlich auch ich ihm einmal meine Hand reichen. »Reid«, sage ich zu ihm, »ich glaube, ich weiß, was du tun solltest.«
    Die Fahrt nach Jersey und zurück dauert zehn Stunden. Als ich in Reids Einfahrt einbiege, brennt kein Licht im Schlafzimmer. Ich finde meinen Bruder in der Küche beim Geschirrspülen. Er trägt Liddys rosafarbene Rüschenschürze, auf der in großen Buchstaben steht: AUS DEM WEG, ICH BIN DER KOCH! »Hey«, sage ich, und er dreht sich um. »Wie geht es ihr?«
    »Keine Veränderung«, antwortet Reid und schaut zweifelnd auf die Papiertüte in meiner Hand.
    »Vertrau mir.« Ich hole einen Becher Popcorn zum Selbermachen zum Vorschein und stelle ihn in die Mikrowelle. »Ist Pastor Clive wieder zurückgekommen?«
    »Ja, aber sie will noch immer nicht mit ihm reden.«
    Sie will einfach mit überhaupt niemandem reden, denke ich. Reden bringt den Albtraum geradewegs wieder zurück. Und im Augenblick will sie einfach nur davor fliehen.
    »Liddy isst kein Popcorn aus der Mikrowelle«, bemerkt Reid.
    Genau genommen lässt mein Bruder seine Frau kein Popcorn aus der Mikrowelle essen. Er ist ein großer Fan von Biolebensmitteln, allerdings weiß ich nicht, ob das daran liegt, dass diese Art von Nahrung besonders gesund ist, oder ob er einfach nur immer das Teuerste haben muss. »Es gibt immer ein erstes Mal«, erwidere ich. Die Mikrowelle meldet sich, und ich hole den Becher raus, reiße ihn auf und schütte den Inhalt in eine Schüssel.
    Im Schlafzimmer ist es stockfinster. Es riecht nach Lavendel. Liddy lieg auf der Seite, das Gesicht von mir abgewandt. Ich bin nicht sicher, ob sie schläft, doch dann höre ich sie. »Geh weg«, murmelt sie. Ihre Stimme klingt, als käme sie aus einem langen Tunnel.
    Ich ignoriere sie und esse eine Handvoll Popcorn.
    Das Geräusch und der Geruch der Butter veranlassen sie, sich umzudrehen. Liddy blinzelt mich an. »Max«, sagt sie. »Ich bin nicht wirklich in der Stimmung für Gesellschaft.«
    »Schon okay«, sage ich. »Ich bin nur wegen deinem DVD-Player hier.« Ich hole den Film aus der Tüte. Dann starte ich den DVD-Player und schalte den Fernseher ein.
    Kugeln werden sie nicht töten! , verspricht der Teaser.
    Flammen können sie nicht verletzen!
    Nichts kann sie aufhalten!
    Die SPINNE … wird dich fressen!
    Liddy setzt sich auf, und ihr Blick wandert zum Bildschirm, wo eine unglaublich schlecht gemachte Riesentarantel ein paar Teenager terrorisiert. »Wo hast du den denn her?«
    »Ich kenne da so einen Laden.« Es gibt da einen kleinen Laden in Elizabeth, New Jersey, wo man alte B-Movies kaufen kann. Online habe ich schon öfter dort bestellt, aber da ich diesmal nicht darauf warten konnte, bis mir der Film per Post zugestellt wird, bin ich einfach hingefahren. Liddy wollte diesen Film schon immer sehen.
    »Das ist echt gut«, sage ich. »Von 1958.«
    »Ich will jetzt keinen Film sehen«, sagt Liddy.
    »Okay.« Ich zucke mit den Schultern. »Dann stelle ich den Ton leiser.«
    Ich tue so, als würde ich mir anschauen, wie das Mädchen und ihr Freund nach ihrem vermissten Dad suchen und stattdessen ein riesiges Spinnennetz finden. In Wahrheit beobachte ich Liddy. Sie kann einfach nicht anders, sie muss sich den Film auch anschauen. Und ein paar Minuten später greift sie nach dem Popcorn in meinem Schoß, und ich gebe ihr die ganze Schüssel.
    Als die Teenager die leblose Spinne in die Turnhalle ihrer Schule bringen, um sie dort zu untersuchen, dabei jedoch feststellen, dass sie noch lebt, steckt Reid den Kopf zur Tür herein. Ich sitze auf der Bettkante und zeige Reid den erhobenen Daumen, und er ist sichtlich erleichtert, dass Liddy wieder in die Welt der Lebenden zurückgekehrt ist. Leise geht er wieder hinaus und schließt die Tür hinter sich.
    Eine halbe Stunde später haben wir das Popcorn fast aufgegessen. Und als die Tarantel mit Stromschlägen zu Fall gebracht wird, drehe ich mich zu Liddy um und sehe, wie ihr die Tränen über die Wangen rinnen.
    Ich bin ziemlich sicher, dass sie nicht weiß, dass sie weint.
    »Max«, fragt sie, »können wir ihn noch mal sehen?«
    Einer Kirche wie der Eternal Glory

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