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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Aufmerksamkeit wieder dem Motor zu. Luise schritt fast ein wenig befangen die Reihe der Flugzeuge entlang. Es war das erste Mal, dass sie so viele aus der Nähe betrachten konnte. Über zwanzig verschiedene Maschinen standen da gestaffelt eng hintereinander und warteten. Und jede anders! Zwei Fokker gab es da, vier Junkers, aber keine vom gleichen Typ, eine Libelle von Dornier und sogar eine alte Rumpler Taube. Auf der war Melli Beese schon geflogen, dachte sie. Luise hatte die Box geöffnet und kniete sich hin. Zum Glück waren die Rolltore schon ein Stück geöffnet, aber auch so war sie sich nicht sicher, ob das Licht ausreichte. Sie fotografierte die Fahrgestelle, die Bespannungen, die Verdrahtungen und die Flügelverstrebungen; einfach alles, wo sie und Georg bei ihrem Bau Schwierigkeiten hatten. Sie erhob sich und ging weiter. Von draußen hörte sie jetzt das Summen der Menschenmasse, die allmählich das Flugfeld füllte. Blechern kam eine Ansage aus den Lautsprechern, die sie hier drinnen nicht verstehen konnte. Sie sah erschrocken auf die Uhr und beruhigte sich. Es war noch Zeit. Dann sah sie ein Flugzeug, das sie nicht kannte. »Schwalbe« stand darauf, aus den Fieseler-Werken. Ein schönes, leichtes Flugzeug, aber sie hatte weiter hinten schon die Maschine entdeckt, die sie am meisten mochte. Sie ging darauf zu. Da war sie, einfach und schlicht, der Rumpf schon an vielen Stellen ein wenig zerkratzt und die Räder mit Macken: die Messerschmitt M 17. Das war einfach ihr Lieblingsflugzeug. Sie ging um sie herum und konnte jetzt doch nicht anders, als mit den Fingern über die Flügel zu streichen, und als sie über die Nahtstelle fuhr, lächelte sie: Sie hatten es zu Hause richtig gemacht – es fühlte sich genauso an. Am Leitwerk blieb sie stehen und hob die Box, um zu fotografieren, wie die Drähte am Heckruder angebracht waren.
    »Eine Spionin?«, kam da plötzlich eine ärgerliche Stimme von hinten. Sie schrak zusammen und verriss die Kamera.
    Ein Mann stand in ihrem Rücken. Sie hatte ihn nicht kommen hören, obwohl er in Flugmontur war und Stiefel trug. Die Lederbänder seiner Kappe waren offen, und er sah streng aus.
    »Ich … ich bitte um Entschuldigung«, stotterte Luise hastig und deutete auf den Halleneingang, wo die Monteure standen, »man hat mir gesagt … der Herr Walther am Eingang hat gesagt, man würde mich hereinlassen. Ich wollte mir … eigentlich wollte ich nur die Flugzeuge angucken.«
    »Der Herr Walther hat das gesagt, so!«, sagte der Mann, aber Luise fand, dass er nicht mehr so streng aussah. In seiner Stimme war etwas Belustigtes. Er deutete auf ihre Kamera.
    »Und was fotografieren Sie da an meiner Maschine herum?«
    »Das ist Ihre?«
    Luise war überrascht. Ihr Gegenüber lächelte, und Luise bemerkte, dass er eigentlich recht jung aussah. So wie Paul vielleicht. Überhaupt hatte der Mann etwas von Paul. Auch Paul wirkte manchmal streng, obwohl er eigentlich nur traurig war und dann doch ganz unverhofft lächeln konnte.
    »Irgendjemandem müssen die Flugzeuge ja gehören, Fräulein«, sagte er. »Und das hier ist zufällig meines. Na, und was haben Sie denn jetzt fotografiert? Das Heckruder? Wieso?«
    Luise wusste nicht genau, was sie antworten sollte. Sie konnte ja schlecht sagen: Ich baue ein Flugzeug. Sie hob beide Hände ein wenig.
    »Ich … na ja, ich wollte wissen, wo die Seilzüge laufen«, antwortete sie verlegen. »Die M 17 ist einfach die beste Maschine, finde ich.«
    Sie bereute den Satz in dem Moment, als sie ihn gesagt hatte. Sie hatte nicht vorlaut klingen wollen.
    »Jetzt«, sagte der Mann nach einer kleinen Pause, in der er sie musterte, »sollten Sie mir Ihren Namen sagen. Müsste ich Sie kennen? Sind Sie Fliegerin?«
    Luise wurde rot. Sie senkte den Kopf und nestelte an der Lederklappe ihrer Box, um sie zu schließen.
    »Nein«, sagte sie dann, »ich bin keine Fliegerin. Ich bin noch nie geflogen.«
    Zwei Arbeiter kamen durch die Halle und begannen, die Rolltore aufzuschieben. Die Vormittagssonne ließ Luise blinzeln. Der junge Mann betrachtete sie immer noch, ohne etwas zu sagen.
    »Aber Sie würden gerne, nicht wahr?«, fragte er dann unvermittelt und viel freundlicher als vorhin.
    Luise sah ihn an.
    »Ja«, sagte sie dann einfach, »ich will fliegen, seit ich ein kleines Mädchen war. Es gibt nichts anderes, was ich so gerne möchte. Ich will Fliegerin werden.«
    Zwei Männer kamen vom Flugfeld in die Halle. Einer in Uniform, der andere im Straßenanzug.

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