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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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hatte sich für billiges Geld eine Z 22 besorgt. Letztes Jahr war ein Herr aus Nürnberg mit dem Motorrad bei seiner Tankstelle mit einem Getriebeschaden liegen geblieben. Nachdem er sie dann monatelang nicht abholte, hatte Georg mit ihm telefoniert, und der Mann hatte sie ihm schließlich überlassen, weil ihm die Reparatur zu teuer war.
    »Na ja«, fuhr er zögernd fort und zog noch eine Mutter an, »und da habe ich gedacht, ob wir vielleicht zusammen zum Schwimmen fahren wollen. Am Sonntag. Wir könnten eine Vesper mitnehmen, und bis jetzt sieht es nach gutem Wetter aus und …«
    Es knackte. Georg sah fassungslos und mit sehr rotem Gesicht auf den Schraubenschlüssel in seiner Hand. Er hatte die Mutter abgedreht, und der Kopf fiel jetzt klingend auf den Boden.
    Luise wusste nicht, wo sie hinsehen sollte.
    »Ich … ich würde sehr gerne«, sagte sie dann schnell, »aber ich habe … Paul hat mir eine Karte für die Flugschau in Würzburg geschenkt. Das ist am Sonntag. Ich … vielleicht ein andermal, ja?«
    »Klar«, antwortete Georg und bückte sich nach dem Mutterkopf, »klar. Der Sommer dauert ja noch ein bisschen. Es war nur … ich habe am Sonntag keinen Dienst an der Tankstelle.«
    Luise fiel in diesem Augenblick auf, dass sie ihn nicht gefragt hatte, ob er mitkommen wollte. Jetzt war es zu spät, und vielleicht war es auch besser, aber sie schämte sich ein wenig.
    »Ich hol mal den Leim«, sagte Georg, »für die Flügeldecke.«
    Er lächelte ihr auf dem Weg ins kleine Lager unsicher zu. Luise war jetzt auch rot geworden. Sie hatte das Gefühl, als ginge alles durcheinander, und Georg tat ihr auf einmal sehr leid.
    »Willst du nicht mitkommen?«, rief sie ihm spontan hinterher. »Nach Würzburg? Zur Flugschau?«
    »Nein«, rief er aus dem Lager zurück. Man hörte ihn kramen, und seine Stimme klang fast wieder normal. »Ich hab ganz vergessen, dass Helmut auch mitwollte. Ich hätte für dich den Beiwagen anmontiert, aber so geht sich’s dann gut aus. Mach ein paar Bilder, ja?«
    Er kam mit dem Leimtopf wieder, stellte ihn auf den Esbitkocher und strich ein Hölzchen an. Luise beobachtete ihn und wusste nicht, was sie sagen sollte. Dann füllte zuerst der Geruch des brennenden Esbits den großen Raum, allmählich gefolgt von dem des warmen Leims.
    »Komm«, sagte Georg, als der Leim flüssig genug war und er mit dem Topf und dem Leimpinsel zum Flügelskelett herüberkam, »fangen wir an.«
    Sie arbeiteten, wie immer, weitgehend schweigend und Hand in Hand. Stets wusste der eine schon, welches Werkzeug der andere brauchte, wo man festhalten musste, oder auch, wo man nicht im Weg sein durfte. Vielleicht ist es deshalb, dachte Luise, vielleicht denkt er deshalb so. Aber für sie war Georg seit jeher jemand wie … wie Paul gewesen. Vielleicht noch mehr. Paul war meist verschlossen, und sie hatte immer eine leise Scheu vor ihm. Das war bei Georg nicht so. Er war wie ein fröhlicher, verlässlicher Bruder, mit dem man auch herzhaft streiten konnte, ohne fürchten zu müssen, ihn zu verlieren. Luise sah auf Georgs Hände, die das Leinen straff über den Rahmen spannten und hielten, damit sie die Kanten mit Leim einstreichen konnte, und in diesem Augenblick blickte sie kurz in sein konzentriertes Gesicht und wünschte mit ganzer Kraft, dass sich nichts verändern sollte.

9

    Der Zug nach Würzburg war trotz der frühen Stunde voller Ausflügler. Luise hatte einen Platz in der Holzklasse ergattern können und sah aus dem Fenster, wo die Telegrafendrähte entlang der Bahnlinie in schönem Schwung auf- und niedergingen. Das Gedränge im Waggon nahm von Station zu Station zu. Eine Gruppe Studenten in den Farben ihrer Korporation, die Mützen keck schräg auf den Köpfen, war eben eingestiegen und wohl auf dem Weg zu einer Wanderung durch die Würzburger Weingärten, wie man aus ihren Gesprächen leicht erraten konnte. Sie mussten stehen, weil der Waggon jetzt wirklich voll war. Ab und zu warf einer von ihnen Luise einen lächelnden Blick zu, aber sie gab weder Blick noch Lächeln zurück, und eigentlich verstand sie auch nicht, weshalb ihr zugenickt wurde. Sie hatte ihre Fahrtenkluft an und die Ledertasche mit ihrer Box umhängen, damit sie Fotos machen konnte. So wie Elisabeth sehe ich doch wirklich nicht aus, dachte sie. Der Abend in der Werkstatt klang noch in ihr nach. Wäre er nicht gewesen, dann hätte sie heute Georg sehr gerne neben sich gehabt. Aber jetzt wusste sie nicht mehr, wie sie ihm unbefangen

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