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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Verdacht, dass er mehr Geld in ihr Flugzeug steckte als sie. Er zeigte ihr fast nie irgendwelche Rechnungen und sagte immer, er habe die Sachen unter der Hand gekauft oder im Lager gehabt. Luise betrachtete das mit gemischten Gefühlen. Einerseits wollte sie, dass es mit ihrem Flugzeug voranging, andererseits wollte sie, ohne genau zu wissen, warum, nicht in Georgs Schuld stehen.
    »Komm«, sagte er jetzt, »wir legen den Stoff mal drauf, ja?«
    Luise holte das Tuch, das sie vor zwei Wochen zugeschnitten hatte. Georg und sie fassten je ein Ende, dann strafften sie das Leinen zwischen sich und breiteten es vorsichtig auf einen der Flügel. Luise holte tief Luft. Nun sah er wirklich aus wie ein Flügel, und er wirkte auch mit einem Mal viel größer.
    »Mensch«, sagte sie, plötzlich aufgeregt, »es wird richtig schön!«
    Georg, auf der anderen Seite des Flugzeugs stehend, lächelte sie an. »Ich …«, begann er, stockte, wurde ein wenig rot und fuhr schnell fort, »… ich kann mir so gut vorstellen, wie du aussiehst, wenn du fliegst.«
    »Ja«, antwortete Luise ein wenig abgelenkt. Sie überlegte gerade, wie sie den Stoff aufleimen konnte, ohne dass er Falten warf. Man musste ihn auf jeden Fall auf die Unterseite des Flügels überlappen lassen, und dann würde man auch noch einen Streifen brauchen, mit dem man die Kanten überleimte, wo die Bespannung aufeinanderstieß.
    »Eine Fliegermütze würde dir gut stehen«, sagte Georg. Luise hatte sich kurzerhand auf den Boden unter den Flügel gelegt und versuchte sich vorzustellen, wie man den Stoff während des Leimens fixierte, damit er nicht verrutschte, wenn man ihn straffte.
    »Ich habe keine Fliegermütze«, murmelte sie abwesend.
    Sie sah Georgs Beine näher kommen. Er stand immer noch auf der anderen Seite des Flügels, aber sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Probehalber legte sie den Stoff um. Der gute Geruch des Leinens mischte sich mit dem des frischen Holzes.
    »Na ja«, sagte er, und sie hörte eine gewisse, ungewohnte Verlegenheit in seiner sonst so forschen, fröhlichen Stimme, »ich würde sie dir schenken.«
    Da verstand Luise plötzlich, und sie war froh, dass sie gerade unter dem Flügel lag und er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Daran hatte sie nie gedacht. Georg war ihr Freund, einer der wenigen, die sie hatte. Ein wunderbarer Kamerad, der sie verstand. Der Einzige, mit dem sie ihr Geheimnis teilte, und der Einzige, der sich nach derselben Freiheit sehnte wie sie. Plötzlich fühlte sie sich schlecht, so wie man sich fühlt, wenn man gedankenlos ein Tier gequält hat, das sich nicht wehren kann, dabei hatte sie gar nichts getan.
    »Ja«, sagte sie endlich, und versuchte, ihre Stimme heiter klingen zu lassen, »das wäre schön!«
    Georg ging hinüber zur Werkbank, sie kam unter dem Flügel hervor und sah ihn jetzt mit anderen Augen. Georg war nicht sehr groß, aber kräftig. Er trug die blaue Leinenmütze, die sie auf dem Land alle trugen, Bauern wie Handwerker. Sein Haar – immer war sein Haar wild und durcheinander – passte gar nicht darunter. Ein offenes, mutiges Gesicht. Georg war einer, dachte Luise mit einem Gefühl zwischen Wärme und Wehmut, den man bei sich haben wollte, wenn man Schiffbruch erlitt. Aber selbst wenn sie gewollt und überhaupt an Männer gedacht hätte: Er war einfach keiner, in den sie sich verlieben würde.
    Jetzt hatte er ein Rad in der Hand und polierte mit einem Lumpen die verchromten Speichen. Er hielt es Luise hin, als sie näher kam.
    »Sieh mal. Hab ich von einem Krad. Wir bräuchten noch ein zweites, das genauso groß ist. Aber das wäre ideal, oder?«
    Sie nahm ihm das Rad aus der Hand, ohne ihn anzusehen, und war froh, dass sie jetzt nichts sagen musste. Es war abgefahren, aber für Landung und Start brauchte es ja nicht so viel Profil. Sie fasste es an der Nabe und ließ es zwischen ihren Händen laufen. Es hatte überhaupt keine Acht, sondern lief sauber und gerade. Sie lehnte es an den Rumpf, dort, wo später das Fahrgestell angebaut werden würde. Es sah gut aus. Immer mehr wirkte es wie ein echtes Flugzeug. Luise spürte ein wenig von dem schönen Gefühl, das man hatte, wenn man ein Stück vo­rangekommen war.
    »Ich habe überlegt«, sagte Georg, wandte ihr den Rücken zu, nahm einen Sechzehnerschlüssel und begann, die Muttern am Fahrgestell nachzuziehen, »ich habe mir doch die Zündapp wieder hergerichtet.«
    Luise nickte. Sie war wieder zu den Flügeln gegangen und richtete den Stoff aus. Georg

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