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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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es nur einen Stuhl gab, gingen sie beide mit ihrem Becher Malzkaffee in der Hand nach draußen und setzten sich auf das Mäuerchen, neben dem das Pressluftgerät für die Reifenbefüllung stand. Dahinter lehnte Georgs Krad, an dem er auch noch herumschraubte, wenn ein wenig Zeit übrig blieb. Das war etwas, das Luise an Georg besonders mochte – seine fast unbegrenzte, fröhliche Energie, mit der er alles anpackte. Die Sonne schien auf die Straße. In den Gärten der Villen gegenüber lärmten die Vögel. Es war sehr sommerlich, und Luise begann allmählich zu fühlen, dass heute tatsächlich etwas ganz Neues begann. Als Kind hatte sie einmal staunend einen Falter beobachtet, der aus seiner Puppe herauskroch und das erste Mal die zerknitterten Flügel ausbreitete. So ähnlich fühlte sich das heute auch an, dieses leichte Staunen über eine neue Welt.
    »Ich habe mir überlegt, wie wir den Motor verankern«, begann Georg unvermittelt. »Nicht, dass wir schon einen hätten. Aber er darf uns ja nicht aus dem Rumpf abhauen. Er muss das ganze Ding ja ziehen. Also hab ich gedacht, dass …«
    Luise unterbrach ihn. »Georg«, sagte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu, »ich bin geflogen.«
    »Was?« Georg war völlig überrascht.
    »Ich bin geflogen«, wiederholte sie und freute sich, dass sie dieses Geheimnis mit ihm teilte. Sie hatte es zu Hause niemandem erzählt, nicht einmal Paul.
    »Einer der Flieger auf der Flugschau hat mich mitgenommen«, sprudelte sie jetzt heraus, »und ich habe unglaublich viele Fotos von den Maschinen machen können. Es war eine Messerschmitt. Ich muss sie noch entwickeln lassen. Georg, es war einfach fabelhaft.«
    Georg sah zu ihr hinüber, und sie konnte sehen, dass er sich Mühe gab, aber ihre Freude nicht so teilen konnte, wie sie erwartet hatte. Aber sie hatte ja auch das Beste noch nicht erzählt.
    »Ich war in der Flugzeughalle, und da habe ich einen Flieger kennengelernt«, sagte sie. »Greben heißt er. Und der hat mich nach der Schau mit nach oben genommen. Er hat mich heimgeflogen«, lachte sie, immer noch von diesem unwahrscheinlichen Glück erfüllt, »und dann, Georg …«
    Sie machte eine kleine Pause, der Spannung wegen. Georg sah sie erwartungsvoll an.
    »Dann hat er mich fliegen lassen«, sagte Luise stolz. »Fast die ganze Strecke von Würzburg hierher. Es war das Beste, was ich jemals gemacht habe. Georg! Er hat mich wirklich fliegen lassen, und es war überhaupt nicht schwer. Es war …«
    Sie hielt inne, weil Georg den Kopf abgewandt hatte.
    »Georg!«, sagte sie bestürzt. »Was ist denn? Freust du dich nicht?«
    »Doch, doch«, sagte Georg, aber sie sah ihn das erste Mal wieder so wie damals, vor fünf Jahren, als sie gedankenlos gesagt hatte, dass Mechaniker nicht flögen.
    »Ich … ich hatte nur irgendwie gedacht …« Er beendete den Satz nicht. Luise konnte nicht verstehen, dass er sich so gar nicht mit ihr freuen konnte.
    »Aber du wärst doch auch geflogen«, sagte sie, zwischen Hilflosigkeit und Trotz schwankend, »wenn man es dir angeboten hätte, dann wärst du doch auch geflogen, oder?«
    Georg sah sie an. »Ja, vielleicht. Aber niemand bietet mir so etwas an. Weil ich kein Mädchen bin.«
    Luise war jetzt völlig außer Fassung. Sie verstand nicht, wie dieses Gespräch so schieflaufen konnte. Sie hatte sich so gefreut, Georg zu sehen und ihm alles zu erzählen.
    »Das hat doch damit überhaupt nichts zu tun«, verteidigte sie sich jetzt hitzig, »ich kann doch nichts dafür, wenn mir einer anbietet aufzusteigen! Hätte ich Nein sagen sollen?«
    Georg ging nicht darauf ein. »Er hat sicher gut ausgeschaut, oder?«, fragte er fast gehässig.
    Luise stand auf und stellte den Kaffeebecher auf das Mäuerchen. »Georg«, sagte sie und versuchte, sich zusammenzunehmen und nicht laut zu werden, »das ist doch völlig egal. Er hat gut ausgeschaut, aber deswegen bin ich doch nicht mitgeflogen. Ich bin … wann kriegt man denn jemals wieder so eine Chance? Ich meine, er hat mich fliegen lassen! Weißt du, wie lange man warten muss, bis man fliegen darf, selbst wenn man Flugstunden nimmt?«
    Georg sah weg. »Wie hat er denn geheißen?«, fragte er mürrisch. Er gab sich keine Mühe mehr, seinen Ärger zu verbergen.
    Luise wurde zornig. Wie verbohrt konnte Georg nur sein! Er sollte sich mit ihr freuen. Er war ihr bester Freund! Wütend kramte sie in der Tasche ihrer Jacke, die sie auch am Sonntag getragen hatte und hielt ihm dann das Visitenkärtchen hin.
    »Lies

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