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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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der letzten Woche und auch die Bedrückung wegen Eva und der Ärger durch den Streit mit dem Mesner fielen etwas von ihr ab. Elisabeth kam ihr in den Sinn, und sie drückte ihr schnell mit schlechtem Gewissen die Daumen, während sie jetzt mühelos an der Textilfabrik auf der einen und den wenigen Villen der Vorstadt auf der ­anderen Seite vorbei zur Tankstelle rollte, um Georg zu besuchen.
    Der Verkehr auf der Landstraße nach München war um diese Zeit nicht sehr stark. Weil es ja ein Werktag war, fuhren vor allem Lastkraftwagen; nur ab und an sah man ein Privatauto. Luise bog in die Tankstelle ein und lehnte ihr Rad an eine der beiden runden Zapfsäulen, auf der oben die große, weiße Messuhr saß, die nach dem letzten Kunden noch nicht zurückgestellt worden war: Auf 23 Liter wies der schwarze Zeiger.
    Die Tankstelle wirkte sehr neu und modern. Das Vordach hatte man nicht auf gemauerte Stützen gesetzt, sondern auf zwei Stahlrohre, und das rot lackierte Blech der beiden Zapfsäulen glänzte noch. Die Werkstatt daneben war auch neu und hatte Schaufensterscheiben wie ein Ladengeschäft. Das war Georgs Idee gewesen. Sein Vater hatte nur nach langem Murren zugestimmt. Er hatte befürchtet, dass sich dann vor den Fenstern Schaulustige versammeln würden, die ihm bei der Arbeit zusahen. Aber Georg hatte gemeint, dass sie ja nichts zu verbergen hätten und die Leute lieber kämen, wenn sie zusehen könnten, wie ihre Autos repariert wurden. Er hatte recht behalten. Die Werkstatt lief sehr gut. Deshalb hatte Georg ja auch nur wenig Zeit für ihr Flugzeug. Aber ein Teil der großen Scheiben war jetzt ohnehin von Wahlplakaten der SPD verdeckt – noch ein Streitgrund für Georg und seinen Vater, der immer und immer wieder aufflammte: Roter Sohn und schwarzer Vater, das vertrug sich nicht gut in einem gemeinsamen Betrieb.
    Sie spähte durch das Fenster hinein. Sie konnte lange Beine in blauen Schlosserhosen sehen, die unter einem schwarzen, offenen Horch hervorragten. Georgs Vater dagegen war nicht da. Aber das war klar – es war Juni, und wahrscheinlich war er draußen auf dem Feld und machte Heu. Georgs Eltern hatten noch eine kleine Hofstelle.
    Luise zögerte ganz kurz. Sie waren sich nicht mehr begegnet, seit sie das letzte Mal zusammen am Flugzeug gearbeitet hatten. Zum einen waren die Prüfungen dazwischen gewesen, zum anderen hatte sie eine kleine Scheu davor gehabt, ihn zu treffen. Aber Georg war ihr bester Freund, und er war der Einzige, der sich genauso sehr wie sie nach dem Fliegen sehnte. Und sie musste ihm erzählen, dass sie geflogen war! Keiner verstand so wie er, was das für sie bedeutete. Kurz entschlossen drückte sie das Tor auf und trat ein.
    »Komme gleich!«, rief Georg, der unter dem Wagen lag. Ein Schraubenschlüssel klirrte auf den Zementboden.
    »Ach«, rief Luise übermütig zurück, »lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich betanke mein Fahrrad dann eben selbst.«
    »Luise!«, hörte sie Georgs überraschte Stimme, und er schob sich rasch unter dem Horch hervor. Sein Gesicht war vollkommen ölverschmiert, aber seine Augen leuchteten. »O Gott«, sagte er, »ich schaue aus wie … warte kurz!«
    Luise lachte. »Lass doch, du bist doch bei der Arbeit!«
    Aber Georg war schon zum Waschbecken geeilt und seifte sich das Gesicht ein. Luise sprang auf den Kotflügel des Horch, ließ die Beine baumeln und sah zu.
    »Was machst du denn hier? Um diese Zeit?«, fragte Georg, während er sich abtrocknete. Zwei schwarze Schatten um die Augen waren geblieben.
    »Ach«, antwortete Luise lässig, »ich wollte mir nur die Zeit vertreiben, bis ich erfahre, ob ich gewonnen oder verloren habe.«
    »Gewonnen?« Georg verstand nicht gleich.
    »Na, die Prüfungen. Ich bin fertig. Um eins weiß ich, ob ich bestanden habe.«
    Georg lächelte sie an. »Natürlich hast du.«
    Luise zuckte die Schultern. »Wer weiß«, sagte sie leicht. »Und du? Hast du etwas machen können?«
    Sie spielte auf das Flugzeug an. Georg nickte und fragte mit Blick auf das kleine Bürozimmerchen neben der Werkstatt: »Magst du einen Malzkaffee? Ich habe keinen richtigen da, leider. Oder vielleicht ein Bier?«, ergänzte er leicht boshaft.
    Luise schüttelte sich bei dem Gedanken an Bier, noch dazu am Vormittag. Georg trank auch keins, aber sein Vater eigentlich immer, wenn er arbeitete, deshalb standen stets ein paar Flaschen in einer alten Zinkwanne im Wasser.
    »Malzkaffee ist doch fabelhaft«, sagte sie, und sie gingen zusammen hinüber.

    Weil

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