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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Aufwand und keine Festlichkeiten. Er mochte die leisen Dinge.
    »In den letzten Tagen habe ich nicht nur darüber nachgedacht, dass man seine Kinder gehen lassen muss. Ich habe mich auch erinnert, dass man überhaupt sein Herz nicht an weltliche Dinge hängen soll. Trotzdem ist mir das hier …«, er zögerte kurz, als er in die Tasche fasste und etwas herauszog, das Luise nicht gleich erkennen konnte.
    »Das hier ist mir nicht leichtgefallen«, sagte ihr Vater leise noch einmal.
    Die Dämmerung war mit blauen Schatten am Haus emporgestiegen, die Fenster waren dunkel geworden, und nur noch der Himmel war hell. Luises Vater schwieg kurz, dann nahm er sich zusammen und seine Stimme wurde wieder fröhlich.
    »Moses sagt: Und der HERR wird dir seinen guten Schatz auftun, den Himmel …«, damit reichte er Luise, was er in der Tasche gehabt hatte. Luise erkannte es in der Dämmerung erst einen Augenblick später. Es war das Diamantcollier, das sie nur vom Hochzeitsfoto ihrer Eltern kannte. Ihre Mutter hatte es damals getragen.
    »Papa!«, protestierte sie, aber der sprach weiter, unbeirrt, und auf einmal wirkte seine Stimme ganz frei und froh: » … Und der HERR wird dich zum Haupt machen und du wirst oben schweben und nicht unten liegen . Es gehört dir. Du kannst damit tun, was du möchtest«, sagte er noch. Dann hob er schnell sein Glas und sagte: »Auf Luise!«
    Alle standen rasch auf, und Papa, Luana und Paul tranken ihr zu, und sie tat ihnen Bescheid, wie es sich gehörte, und Paul lächelte dabei viel wehmütiger als ihr Vater.
    Danach saßen sie noch lange, bis selbst der lange Juliabend ganz zur Nacht geworden war, die Stadt längst schlief und über ihnen die Sterne in einem klaren, schwarzen Himmel standen und sie auf einmal alle ganz leise sprachen, ohne dass da irgendjemand gewesen wäre, den sie hätten stören können.
    Erst als Luise in ihrem Zimmer war – sie hatte sich die Zähne geputzt, ohne das Licht im Bad anzumachen, um die Stimmung dieses Abends nicht zu zerstören –, erst als sie mit einem schwebend schwindligen Gefühl in ihrem Zimmer stand, halb ausgezogen, da verstand sie, was ihr Vater mit dem Bibelwort gemeint hatte. Dass er ihr den Himmel auftat mit dem Collier, das sie nicht mehr aus der Hand gegeben hatte und jetzt unter ihr Kopfkissen legte.
    Also doch, dachte sie, während sie beide Fensterflügel öffnete und die Läden diesmal nicht schloss, um aus dem Bett noch in den Himmel sehen zu können, also doch: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Dann musste sie leise lachen, weil sie merkte, dass sie eben doch eine Pfarrerstochter war, da konnte man nichts machen. Und dann schlief sie ein, von einem Glück betrunken, das auch ein bisschen nach Erdbeerbowle schmeckte.

16

    Sommertage. Sommertage, die mit jedem neuen Morgen weiter wurden. Sie konnte immer noch darüber staunen, wie groß die Freiheit auf einmal war. Es gab fast nichts, was sie begrenzte. Keine Schule mehr, keine Verpflichtungen, die sie nicht schnell und mit leichter Hand erledigt hätte. Lange Tage, die anderen Menschen mit einem kleineren Geist vielleicht langweilig vorgekommen wären, zu weit, um sie zu füllen. Luise dagegen kamen sie entgegen wie eigens für sie geschaffen. Freiheit war ihr ja nicht der Wunsch, nichts zu tun, sondern bedeutete, das tun zu können, was sie wollte. Sie hörte nicht auf, morgens wie zu Schulzeiten um halb sieben Uhr aufzustehen, denn so hatte sie dieses wunderbare Gefühl, reich an Zeit zu sein; sie, wenn sie wollte, mit beiden Händen verschwenden zu können.
    Es war ein heißer Juli. Die Nächte waren nur wenig kühler als die Tage, und so standen die Fenster des Hauses eigentlich immer weit offen. Durch die grün gestrichenen Läden fiel am Morgen in Streifen das Licht der Sonne. Fast immer war auch Luana schon wach, wenn Luise herunterkam, und es roch nach Kaffee, sanft süßlich nach heißer Milch und manchmal nach Gebackenem. Bei schönem Wetter frühstückten sie oft draußen, und Paul hatte einmal trocken bemerkt, er sei froh, dass um den Garten eine so hohe Mauer lief, denn es war ohnehin schon so, dass die braven Bürger des Städtchens hinter vorgehaltener Hand, aber durchaus etwas abfällig meinten, ein Pfarrer arbeite ja nur sonntags. Und dann noch auf der Terrasse frühstücken! Niemand in der Stadt frühstückte vor dem Haus, es hatte etwas von Verworfenheit, es war etwas, das man vielleicht in Frankreich tat oder in Italien, aber eben nicht in Deutschland. Luise

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