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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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fragte sie zurück. »Sechs oder sieben oder vielleicht zehn, zwölf, wenn ich die Dörfer mitrechne? Ich habe mich jedenfalls bei allen beworben. Aber«, fügte sie dann bitter hinzu, »die da oben ­haben gerade ein Drittel aller Lehrerinnen aus dem Schuldienst entlassen. Keiner stellt mehr Frauen ein.«
    Paul ließ die Zeitung sinken und sah zu ihr hinüber. »Und das Fliegen? Damit hast du doch ganz gut verdient, oder?«
    Luise sah auf ihren Teller. Eine halbe Schnitte Graubrot lag da noch, aber sie hatte keinen rechten Appetit.
    »Es ist mit dem Fliegen wie mit allem anderen«, sagte sie bitter. »Wusstest du, dass Ärztinnen keine Praxen mehr eröffnen dürfen? Was meinst du, wer da noch Frauen fliegen sehen will? Wir gehören zurück an den Herd. Was glaubst du eigentlich, weshalb ich zurückgekommen bin?«
    Plötzlich war Luise wütend. Was dachte sich Paul denn? Er musste es doch am besten wissen, wie es sich anfühlte, wenn man draußen nicht weiterkam, wenn man nach Hause zurückkehren musste, ohne irgendetwas in der Hand zu haben.
    »Das sind deine Parteifreunde«, fuhr sie ihn an. »Glaubst du, ich hätte mir je eine eigene Kunstflugmaschine leisten können? Du kriegst eine geliehen, wenn du genug Werbung für die Flugwerke machst, wenn sie mit dir Geld machen. Das fliegende Fräulein! Die tollkühne Luise! Auf unserer Klemm! So geht das. Ich bin wirklich auf jeder Kunstflugschau im Reich geflogen. Jedes Mal. Und es hat nicht mal gereicht, um mir eine eigene Maschine zu kaufen. Vielleicht, wenn ich einmal einen Rekordflug hätte machen können. Einen Interkontinentalflug. Oder wenigstens einmal über die Alpen und nach Italien. Aber dazu brauchst du reiche Eltern oder reiche Freunde. Und wenn nicht? Dann nicht! Fliegende Frauen sind nicht mehr modern.«
    Paul sah sie über die Zeitung hinweg an.
    »Es sind nicht meine Parteifreunde«, sagte er ruhig, wobei er das »Freunde« betonte, »aber ich denke schon auch manchmal, dass nicht jede Frau einen Beruf haben muss. Es gibt doch schon für uns Männer kaum genug Arbeit. Und außerdem stimmt das doch gar nicht. Denk an die Reitsch. Oder an die Beinhorn. Die fliegen doch auch noch.«
    Luise konnte kaum fassen, dass Paul so etwas sagte.
    »Ja«, fuhr sie ihn an, »die fliegen noch. Weil Ernst Udet die Hand über sie hält und weil sie so bekannt sind, dass sie genug Geld für Überseeflüge zusammenbekommen. Wenn sie sich für die Propaganda einspannen lassen. Aber selbst für die ist es nicht immer leicht. Außer für die Reitsch. Die ist ja noch mehr Nazi als der Führer selbst!«
    Ihr Vater musste lachen, als er das hörte.
    Luise achtete kaum darauf, als sie ärgerlich fortfuhr: »Aber wir! Ich weiß ja nicht, wie viele Frauen es im Reich gibt, die den A-Schein haben. Wir dürfen keine Verkehrsflugzeuge fliegen, nicht mal die Beinhorn darf das, und die fliegt wirklich besser als alle Männer, die ich kenne. Wir werden auf Kunstflugtagen nicht mehr gebucht, weil … ach, du verstehst das nicht«, schloss sie mit einer resignierten Handbewegung.
    »Und überhaupt«, fuhr sie doch noch einmal auf. Pauls Bemerkung saß tiefer, als sie dachte. »Wenn Luana auch arbeiten würde, müsstet ihr nicht mehr bei Papa wohnen!«
    Paul legte die Zeitung nieder. In seinem Gesicht arbeitete es. Luise bereute im selben Augenblick, dass sie das gesagt hatte.
    »Ich habe es gern, wenn meine Kinder im Haus sind«, warf ihr Vater in leicht ironischem Ton ein, um dem Streit die Schärfe zu nehmen. Paul und Luise gingen nicht darauf ein.
    »Ich bin auf der Suche nach einer Wohnung«, sagte Paul nach einer Weile kurz.
    Ihr Vater lehnte sich kauend zurück in seinen Stuhl. »Es ist ganz wie früher«, meinte er spöttisch, »die Kinder sitzen am Tisch und streiten.«
    Dann griff er sich die Zeitung, die Paul auf den Tisch gelegt hatte, und mischte sich nicht weiter ein. Paul, den Luises Bemerkung wohl stärker verletzt hatte, als er zugeben wollte, hakte nach. Es war oft so, dass er erst im zweiten oder dritten Satz sagte, was er dachte.
    »Was ist denn mit Greben? Ich meine, du wirfst mir vor, in der Partei zu sein, und dein Verlobter ist bei der SA. Das geht auch nicht zusammen, oder?«
    Luise sagte ein paar Augenblicke gar nichts. Greben, dachte sie. »Wir sind nicht mehr verlobt«, erwiderte sie schließlich kurz, stand vom Tisch auf und ging wütend aus dem Zimmer, ohne ihr Geschirr abzuräumen, was sonst jeder im Haus tat.
    Sie hörte, wie ihr Vater etwas zu Paul sagte, als

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