Ein Lied über der Stadt
gab keinen Monat, den sie mehr hasste als den Februar, in dem es zwar schon taute, aber alles so tot, so traurig und trostlos nass aussah, als könnte es nie mehr blühen. Jetzt aber schien die Sonne fast heiß, die Bäume leuchteten hellgrün, auf der Wiese standen die Maiglöckchen zu Tausenden. Und auf den Steinen der Terrasse hatte sich der General zum Dösen in die Sonne gelegt. Zwischen seinen Beinen lag die Katze und schlief. Luise konnte sich noch erinnern, wie verwundert Luana gewesen war, als sie das zum ersten Mal gesehen hatte.
»Hund und Katze!«, hatte sie erstaunt ausgerufen, »bei uns zu Hause ginge das nie!«
»Muss wohl daran liegen, dass es ein Pfarrhaus ist«, hatte Paul damals mit trockenem Witz geantwortet.
Luana ging durch den Garten hinüber zur Remise. Luise sah ihr zu, wie sie sich in ihrem einfachen Kleid bewegte. Sie hatte ein wenig zugenommen, aber immer noch ging sie so, wie es wohl keine deutsche Frau konnte. Als ob in ihren Hüften immer eine kleine Lust zum Tanzen wohnte.
Als Luana mit ihrem Deckchair zurückkam, musste Luise leise lachen. Ja. Der Frühling war wirklich da, wenn der Deckchair aufgestellt wurde; gleich, ob es danach noch wochenlang regnete. Luana war etwas außer Atem, als sie den eleganten Liegestuhl aufklappte und energisch begann, ihn vom Staub des Winters zu befreien.
Luise fragte mit einer kleinen Kopfbewegung in Richtung ihrer Hüften in gutmütig boshaftem Ton: »Willst du den Winterspeck fortarbeiten?«
Luana hörte auf zu scheuern, richtete sich auf und sah an sich herunter. Dann lächelte sie zurückhaltend und sagte: »Ich hoffe nicht. Ich bekomme ein Kind.«
Luise sprang bestürzt auf: »Aber Luana! Und ich habe dich den Deckchair schleppen lassen!«
Luana wehrte lachend ab: »In meinem Land arbeiten die Frauen auf dem Feld, bis die Wehen kommen.«
Luise musste auch lachen. Befreit und froh. Das war der erste ganz und gar schöne Augenblick, seit sie nach Hause zurückgekehrt war.
»Zum Glück bist du in einem zivilisierten Land!«, sagte sie jetzt spöttisch. »Das würde Paul niemals zulassen. Lass mich das jetzt machen!«, befahl sie und nahm Luana den Putzlappen ab.
Luana ließ sich nur protestierend in Luises Stuhl zwingen, während diese selbst den Deckchair erst scheuerte und dann mit einem Tuch trocken rieb, dass der weiße Lack in der Sonne schimmerte. Dabei fragte sie Luana aus, wie lange sie schon schwanger sei, wann das Kind komme, ob es schon einen Namen gebe, und fühlte sich ganz unverhofft leicht. Sie würde Tante werden. Auf einmal wog ihre eigene Enttäuschung, ihre Rückkehr viel weniger schwer. Was war das alles gegen das Leben? Jetzt verstand sie auch, wieso Paul so empfindlich reagiert hatte, als sie ihn darauf angesprochen hatte, dass er immer noch hier wohnte.
»Freut sich Paul?«, fragte sie Luana in einem Anflug von Sorge, aber Luana nickte.
»Er ist ja immer sanft«, antwortete sie lächelnd, »aber jetzt ist er wie …«, sie suchte nach einem Wort, und Luise half aus: »Er trägt dich auf Händen, sagt man.«
Luana nickte wieder. »Ein schönes Wort«, sagte sie dann, »das gibt es bei uns nicht.«
»Es wird bestimmt ein Junge«, überlegte Luise laut, »in unserer Familie sind die ersten Kinder immer Jungen.«
»Bei uns auch«, lachte Luana.
Sie saßen den Nachmittag auf der Terrasse, redeten und überlegten sich Namen, sahen auf den Garten, in dem die Maiglöckchen von einer kleinen Frühlingsbrise bewegt wurden, schwiegen zusammen und waren beide auf eine sehr stille, sehr tiefe Weise glücklich. Es war schön, dachte Luise, dass es in diesen Zeiten auch so etwas uneingeschränkt Gutes gab, dass Leben entstand, ungeachtet aller Schwierigkeiten und Düsternisse. Wie der Frühling auch nach jedem Winter immer wieder kam.
Gegen Abend holte Luise ihr Fahrrad, um noch ein wenig Bewegung zu haben. Das Freibad war nicht geöffnet und der Fluss viel zu kalt zum Schwimmen – es war ja eben erst Anfang Mai. Obwohl die Tage nun schon länger wurden, war es mit dem vergehenden Nachmittag gleich wieder frisch geworden. Aber ihr machte die Kühle nichts aus, sie mochte sie. Im Sommer war das mit das Schönste am Fliegen gewesen: Wenn man aus einem glühheißen Julinachmittag aufstieg, höher und höher, und der Fahrtwind von einem heißen Wüstensturm zu einem immer kühleren Wind wurde, der den Kopf klarer machte – nichts ließ sich damit vergleichen. Sie atmete tief ein, als sie die Gasse zum Stadttor
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