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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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dass das Haus beobachtet wurde, dass bereits überall Polizisten waren, dass sie in der Remise schon auf sie warteten, weil sie doch ein übersehenes Flugblatt und die Maschine gefunden hatten. Luise atmete plötzlich viel zu schnell. Sie stand sicher fünf Minuten lauschend vor dem Tor der Remise, bevor sie es endlich ganz leise öffnete. Es war hier natürlich noch dunkler als draußen, aber ihre Augen hatten sich mittlerweile so da­ran gewöhnt, dass sie wenigstens die vertrauten Umrisse wahrnahm. Sie wagte nicht, Licht zu machen, denn das konnte von der Gasse gesehen werden. Sie suchte rund um den Matrizendrucker nach Flugblättern, die Georg vergessen haben könnte, nach zusammengeknüllten, halben oder zerrissenen weggeworfenen Seiten, aber sie fand nichts. Sie stellte die ­Spiritusflasche auf das Regal zurück, damit es nicht so aussah, als hätte man die Maschine erst kürzlich benutzt, dann wischte sie mit einem Lumpen die Gummiwalze sauber. Eigentlich war es sinnlos, dachte sie dann, der Drucker wurde ja auch für kirchliche Handzettel benutzt. Niemand konnte nachweisen, dass da­rauf regimefeindliche Flugblätter hergestellt worden waren. Sie stand in der Mitte des Raumes, atmete den staubigen Geruch alten Holzes, vermischt mit dem Gummigeruch nicht mehr gebrauchter Reifen und dem Hauch Spiritus, der immer noch da war, und überlegte. Doch. Es war besser, wenn sie Georg sagte, was passiert war. Vielleicht wusste er ja sogar Hilfe. Noch einmal sah sie sich um, ob sie nichts vergessen hatte, dann verließ sie den Schuppen.

    In dieser Frühlingsnacht durch die stille Stadt zu laufen war ein sehr eigenartiges Gefühl. Es war auf der einen Seite, als lägen keine sechs Jahre zwischen jetzt und den wunderbar aufregenden Nächten, in denen sie mit Georg an der Erfüllung eines Jugendtraums gearbeitet hatte. Auf der anderen Seite war diese Nacht merkwürdig unwirklich, und ständig hatte sie dieses Gefühl, als habe sie die Verhaftung ihres Vaters noch gar nicht verstanden. Aber, ja – es half, in Bewegung zu sein. Sie lief nicht zu schnell und fast lautlos, die Arme eng am Körper, im gleichmäßigen Takt, wie sie es in München bei der Fliegerausbildung gelernt hatte.
    »Laufen?«, hatte sie damals fast ungläubig gefragt, »wozu?«
    Sie hatte nicht vergessen, wie sie angeschnauzt worden war: Ein rascher, gesunder Geist wohnte nur in einem gestählten, gesunden Körper … und so weiter. Sie hatte es damals schon nicht mehr hören können, aber sie lief ja gerne.
    Sie langte an der südlichen Stadtmauer an. Dort standen die schmalen Handwerkerhäuschen, dicht aneinander gebaut, mit winzigen Gärtchen, im Schatten der hier ziemlich hoch aufragenden Mauer. Unten waren die Werkstätten: Schuster, Seiler, Sattler und eben Schmiede. Oben lag die Wohnung. Luise stand vor dem Haus und zögerte. Sie war gar nicht sicher, ob Georg noch zu Hause wohnte, ob sein Vater noch lebte. Aber gut, dachte sie gleichgültig und bückte sich, um ein paar Kiesel aufzusammeln, schlimmstenfalls wecke ich seine Eltern.
    Sie musste nicht mehr als zwei Steinchen gegen das Fenster werfen, in dem sie Georg vermutete, als es sich schon öffnete.
    »Anton?«, flüsterte es fragend herunter.
    Luise trat aus dem tiefen Schatten des Wirtshauses gegenüber. »Ich bin’s, Luise«, rief sie halblaut, »kannst du eben runterkommen?«
    »Komme«, war Georgs knappe Antwort, und schon war das Fenster wieder geschlossen. Nicht einmal eine Minute später öffnete sich die Tür der Werkstatt. Luise registrierte aufmerksam, dass er kein Licht gemacht hatte.
    »Steh nicht auf der Straße herum«, sagte Georg in der offenen Tür leise und drängend, »komm herein!«
    Sie glitt durch den Türspalt, Georg drückte die Tür wieder zu, und sie standen in der alten Schmiede. In der Esse glühte es unter der Asche noch, es war warm und roch nach verbrannter Kohle und Eisen.
    »Sie haben meinen Vater verhaftet«, sagte Luise hastig. Jetzt, da sie es aussprach, stieg plötzlich ein Weinen in ihrer Kehle hoch, und sie hatte Mühe, es zu unterdrücken.
    »Was?«, zischte Georg überrascht und schockiert, »deinen Vater?«
    Luise erzählte noch einmal kurz, was bei der Beerdigung geschehen war und wie sie dann, kurz nachdem Georg die Remise verlassen hatte, in das Pfarrhaus gekommen waren und ihn mitgenommen hatten.
    »Haben sie irgendetwas gesagt, wozu, oder was sie ihm vorwerfen?«
    Luise schüttelte den Kopf. »Du darfst nicht mehr kommen, auf gar keinen

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