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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Nacht verhört.«
    »Wollten sie auch etwas über Georg wissen?«, fragte Luise schnell. Ihr Vater sah sie überrascht an.
    »Nein«, antwortete er, als sei das völlig unwahrscheinlich. »Ehrlich gesagt, war es ein sehr langes Gespräch über meine Weltanschauung. Warum ich nicht sehe, dass man als Nationalsozialist auch Christ sein kann. Sie haben mich sogar nach meiner Familie gefragt, nach meinem Vater und allem. Was er gewählt hat. Ob meine Brüder gedient haben …manchmal wusste ich nicht, wozu und was die das alles angeht.«
    Er gähnte und streckte sich. Was für eine anrührende Geste, dachte Luise.
    »Und sie haben sehr deutlich gemacht, dass sie mich jederzeit zu einer neuen Vernehmung holen, wenn ich in der Kirche wieder politisch werde.«
    »Ja, Papa, achte darauf, ja?«
    Luises Vater sah sie an und lächelte wegen ihrer Sorge, aber es war ein hilfloses Lächeln, das um Entschuldigung bat. »Ich bin nie politisch«, sagte er müde, »aber ich bin bekennender Christ. Wenn das politisch ist, werde ich nicht anders können.«
    Er stellte seine Tasse halbleer auf die Untertasse zurück und ging aus dem Zimmer, um zu schlafen. Luana und Luise wechselten einen Blick. Luana berührte sacht Luises Schulter.
    »Du solltest auch noch schlafen. Du siehst sehr müde aus.«
    Luise nickte.
    »Danke, Luana«, sagte sie, ohne genau zu wissen, wofür sie ihr dankbar war. Vielleicht einfach dafür, dass sie da war und so oft ohne Worte verstand, was sie fühlte.
    Dann ging sie nach oben, legte sich angezogen aufs Bett und war binnen zweier Minuten eingeschlafen.

10

    Am späten Nachmittag beschloss sie, Georg in der Tankstelle abzupassen, denn obwohl sie wusste, dass es sehr unwahrscheinlich war und ja auch keinen echten Grund dafür gegeben hätte, fühlte sie sich trotzdem ständig so, als sähen ihr die Leute hinterher, fragten sich, wo sie hinginge und was sie täte, deshalb wollte sie ihn nicht noch einmal zu Hause aufsuchen. Sie holte ihr Rad. Mit einem klappernden Fahrrad in eine Werkstatt zu fahren, war wohl völlig unverdächtig.
    Plötzlich wurde sie wütend, während sie leicht bergauf über das Kopfsteinpflaster der breiten Gasse fuhr, an der Apotheke vorbei, in der sie schemenhaft den dicken Apotheker hinter den spiegelnden Schaufenstern stehen sah. Der musste sich nicht solche Gedanken machen. Aber sie musste. Es ist ihre verquere Nazilogik, dass ich mich wie ein Dieb fühle, dass ich wie ein Dieb denke, dachte sie böse. Sie radelte, so schnell sie konnte, am Kolonialwarengeschäft vorbei, an der Konditorei und an der Kurzwarenhandlung Treiber, vor der die beiden alten Schwestern Treiber standen, die eine Witwe, die andere unverheiratet, und wahrscheinlich wie immer allen Klatsch und Tratsch der Stadt durchhechelten. Die wussten sicher auch schon, dass ihr Vater die Nacht auf der Wache verbracht hatte.
    Jetzt kam sie, schon etwas atemlos, durchs Stadttor, die Straße verbreiterte sich etwas, und sie stellte fest, dass sie neu geteert worden war. Es fuhr sich glatt und schön. Es herrschte lebhafter Verkehr, und Luise war etwas überrascht davon, wie viele Autos sie überholten. Kein Vergleich zu München zwar, aber so, dass sie wie vor sechs Jahren fast zu jedem Auto der Stadt ein Gesicht gehabt hätte, war es auch längst nicht mehr. Die Tankstelle musste sich lohnen, stellte sie fest, als sie näher kam und sah, dass Georg noch eine Zapfsäule aufgestellt ­hatte. Das ARAL-Zeichen schaukelte spiegelblank an zwei kurzen Ketten im Zug eines Lastkraftwagens, der eben vorbeigefahren war. Die großen Buchstaben auf dem flachen Dach über der Tankstelle waren neu und konnten wohl beleuchtet werden: Auto-Schmitt. Ein Lehrling in blauem Overall bediente die Kunden, putzte Scheiben und pumpte Benzin. Ganz offenbar ging Georgs Geschäft nicht so schlecht. Luise ließ das Rad auf der Tankstelle ausrollen, stieg ab und lehnte es an die Mauer. Der Lehrbub sah nur kurz geschäftig auf und deutete mit dem Daumen auf die Werkstatt: »Der Meister ist drin!«, rief er kurz und pumpte weiter.
    Luise nickte und schob ihr Fahrrad hinein. Georg, der eben einen Kotflügel polierte, sah auf, legte sofort den Lappen auf die Werkbank und kam auf sie zu. »Und?«, fragte er leise.
    Luise atmete auf. »Er ist zurück«, antwortete sie, »sie haben ihn nur vernommen. Und ihn verwarnt.«
    »Glück gehabt«, meinte Georg und lächelte sie dann etwas unsicher an. »Ich hab’s dir gesagt, sie behalten ihn nicht. Haben sie … hat er

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