Ein Lied über der Stadt
Fall!«, flüsterte sie.
Er nickte. Es gab eine kleine Stille. Man hörte nur das sehr leise Zischen der verglühenden Kohlen. Das Rot unter der Asche in der Esse spürte man mehr, als man es sehen konnte. Georgs Gesicht war nur ein Schemen.
»Sie werden ihn nicht dabehalten«, sagte er schließlich. Luise hörte nicht nur Trost, sondern auch Unsicherheit heraus. Georg schien das zu spüren. »Er ist der Pfarrer hier. Das ist nicht wie bei uns. Das ist nicht, wie wenn sie einen Arbeiter verhaften. Sie werden ihn nur vernehmen.«
»Mitten in der Nacht?« Luise spuckte die Worte fast, so laut flüsterte sie.
»Das gehört alles dazu«, antwortete Georg leise, »alles, um den Gegner unsicher zu machen.«
Wieder schwiegen sie. Luise wandte sich zum Gehen. Auf einmal fühlte sie sich furchtbar erschöpft. Georg hielt ihr die Tür auf, aber dann berührte er sie noch einmal leicht am Arm.
»Sag mir Bescheid, wenn etwas passiert, ja?«, bat er. Luise nickte wieder, dann schlüpfte sie ins Freie. Sie lief jetzt nicht mehr, sie war zu müde dazu. Jetzt ging sie einfach, so schnell sie konnte, zurück nach Hause.
Als sie sich ausgezogen und wieder in ihr Bett gelegt hatte, dämmerte es schon fast, und trotz der Sorgen und Ängste konnte sie dann doch einschlafen; einfach, weil sie zu erschöpft war, um wach zu bleiben.
Entsetzt fuhr sie aus wirren Träumen hoch, als es klingelte, und wusste einen Augenblick nicht, wo sie war. Der General stand neben ihrem Bett auf dem Teppich und lauschte. Während sie noch dabei war, sich zurechtzufinden, klingelte es wieder, sehr ungeduldig. Sie schlüpfte schnell in Bluse und Hose und öffnete die Zimmertür.
Luana stand unten im Flur, sah kurz hoch zu ihr und sagte: »Ich gehe schon.«
Es klingelte wieder, diesmal noch ungeduldiger. Luise ging jetzt auch die Treppe hinunter, blieb aber auf den letzten Stufen stehen, als Luana die Tür öffnete. Dann flog sie zur Tür.
»Papa!«, schluchzte und lachte sie zugleich, »o mein Gott, Papa!«
Ihr Vater stand da, etwas bleich und übernächtigt, aber sogar mit einem leichten Lächeln. »Ich konnte doch gestern meinen Schlüssel nicht mitnehmen«, sagte er nur und hob die Schultern.
Luana machte rasch Kaffee. Keiner von ihnen hatte heute Morgen gefrühstückt, aber jetzt saßen sie, Luana, Luise und ihr Vater, am Tisch und tranken zusammen Kaffee, während Luise ihren Vater drängte zu erzählen.
»Sie waren sehr höflich«, sagte er nachdenklich, »so höflich, dass es unheimlich war. Es … es ist schwer zu beschreiben. Sie drohen dir die ganze Zeit, ohne es zu sagen. Nur einer hat mal gesagt … na ja.«
»Was?«, fragte Luise. Obwohl es heute aufgeklart hatte und die Sonne noch etwas dunstig durch die Fenster schien, hielt sie ihre Tasse mit beiden Händen, weil ihr kalt war. Die Aufregung und die Müdigkeit ließen sie immer noch zittern.
Ihr Vater hob beide Hände in einer fatalistischen Geste. »Als ich gesagt habe, dass ich nichts Falsches gepredigt habe, nichts gegen die nationalsozialistische Weltanschauung, sondern einfach nur, dass ich nichts anderes predigen kann, als was in der Bibel steht, da hat einer so nebenbei gesagt, dass ich nicht der erste Pfarrer der Bekennenden Kirche in Dachau wäre.«
»Konzentrationslager«, empörte sich Luana, »wofür? Dass man an Gott glaubt? Das ist wie … Inquisição! « Ihr fehlten vor Ärger die Worte.
»Wohl nicht nur dafür«, erwiderte Luises Vater leise, »wohl eher, weil sie nicht an Gott glauben. Nicht an einen Gott der Liebe jedenfalls. Sie glauben an einen alten Gott. Komisch«, er lachte halblaut, »der Gott, an den sie glauben, ist eigentlich Jehova. Der alte, eifersüchtige, jüdische Kriegsgott, der keine Sünde verzeiht. Der ganze Städte in Feuer und Glut auslöscht. Das ist ihr Gott. Und wie alle Fanatiker verfolgen sie alle, die etwas anderes glauben. Immerhin – ich habe kein Redeverbot bekommen. Das sprechen sie jetzt öfter aus.«
Luise betrachtete ihn. Sie war so froh, ihn zu sehen, dass es war, als nehme sie ihn das erste Mal seit Langem wieder richtig wahr. Sein ungewöhnlicher, keiner Mode entsprechender Bart. Seine hageren Wangen, die jetzt leicht gerötet waren. Die klugen, müden Augen. Sein Lächeln, das am meisten von allem dieses grenzenlose Gottvertrauen vermittelte, das er besaß.
»Sei vorsichtig ab jetzt, bitte, Papa«, bat sie.
Ihr Vater stand auf. »Ich muss jetzt ein wenig schlafen«, entschuldigte er sich, »sie haben mich die ganze
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